Der Mann im Labyrinth
meine Arbeit nicht erledigt habe.“
„Du warst ja auch längere Zeit im Käfig. Daraus können sie dir doch keinen Vorwurf machen.“
„Vielleicht doch. Gestern haben sie schon ein wenig die Nase gerümpft. Ich glaube, sie haben etwas dagegen, daß ich dich besuche.“
Muller spürte, wie er sich plötzlich wieder verkrampfte.
Rawlins fuhr fort: „Nachdem ich heute mein Tagespensum nicht erledigt habe, wäre ich nicht überrascht, wenn sie mir untersagen würden, weiterhin hierher zu kommen. Ich glaube, da würden sie nicht mehr mit sich spaßen lassen. Ich meine, angesichts der Tatsache, daß du dich nicht sehr kooperativ zeigst, sehen sie es sicher als Zeitverschwendung an, wenn ich dich besuchen gehe. Ich wäre viel nützlicher, wenn ich in Zone E oder F aushelfen würde.“ Rawlins trank den letzten Rest aus seinem Glas und erhob sich dann. Er stöhnte leicht auf. Ned sah auf seine Beine hinab. Der Diagnostat hatte die Wunden mit einer Heilmasse überzogen. Sie war fleischfarben, und man konnte beim besten Willen nicht mehr erkennen, wo die Wunden gewesen waren. Umständlich zog er sich die Reste seiner Hose an. „Ich denke, ich verzichte auf die Stiefel“, sagte er. „Sie sehen so kaputt aus, daß ich mir die Mühe sparen möchte, sie irgendwie um meine Beine zu wickeln. Ich kann auch barfuß ins Camp zurückgehen.“
„Das Pflaster ist glatt und eben“, sagte Muller.
„Gibst du mir etwas von dem Schnaps für meinen Freund mit?“
Schweigend reichte Muller ihm die Flasche. Sie war noch halbvoll.
Rawlins befestigte sie an seinem Gürtel. „Es war ein interessanter Tag. Ich hoffe, ich kann bald wiederkommen.“
4
Als Rawlins sich humpelnd auf dem Weg zu Zone E befand, meldete sich Boardman: „Was machen Ihre Beine?“
„Sie sind noch etwas steif. Aber sie verheilen rasch. Ich schaffe es schon.“
„Passen Sie auf, daß Ihnen die Flasche nicht hinfällt.“
„Da machen Sie sich mal keine Sorgen, Charles. Sie hängt fest an meinem Gürtel. Ich werde Sie schon nicht Ihres Vergnügens berauben.“
„Ned, hören Sie, wir haben versucht, Drohnen zu Ihnen zu schicken. Ich habe jede dieser schrecklichen Minuten am Bildschirm mitgezittert, als diese Bestien Sie angegriffen haben. Aber uns waren wirklich die Hände gebunden. Muller hat jede einzelne Drohne aufgespürt und vernichtet.“
„Ist schon gut“, sagte Rawlins.
„Er leidet eindeutig an psychischen Störungen. Er hat nicht einen Roboter zu Ihnen durchgelassen.“
„Ist ja nicht mehr schlimm, Charles, schließlich habe ich es überlebt.“
Aber Boardman wollte noch nicht aufhören. „Ich habe mir überlegt, ob Sie nicht besser drangewesen wären, wenn wir nicht versucht hätten, die Drohnen zu Ihnen zu schicken, Ned. Denn die Roboter haben Muller einige Zeit lang beschäftigt. Andernfalls hätte er früher wieder zu Ihnen zum Käfig kommen können, um Sie herauszulassen oder die Aasfresser zu töten. Er …“ Boardman schwieg. Er preßte die Lippen zusammen und tadelte sich selbst wegen seines Gefasels. Ein untrügliches Anzeichen für das Älterwerden. Er befühlte die fleischigen Falten seines Bauchs. Eine neue Verjüngungsbehandlung war vonnöten. Er könnte sich zu einem Sechzigjährigen machen lassen und gleichzeitig den physiologischen Verfall auf den Stand eines biologisch Fünfzigjährigen zurückführen. Älter aussehen, als er es unter der Oberfläche war. Eine raffinierte Fassade, um die innere Raffinesse zu verbergen.
Nach einer langen Weile sagte er: „Es sieht so aus, als wären Muller und Sie mittlerweile gute Freunde geworden. Das gefällt mir. Der Moment ist nicht mehr fern, wo Sie versuchen sollten, ihn herauszulocken.“
„Und wie soll ich das anfangen?“
„Versprechen Sie ihm die Heilung“, sagte Boardman.
Zehn
Drei Tage später trafen sie sich wieder, gegen Mittag in Zone B. Muller schien erfreut, ihn wiederzusehen, und das paßte hervorragend in den Plan. Rawlins lief quer über den Sportplatz – zumindest sah der Platz so aus, der sich zwischen zwei dunklen blauen Türmen mit stumpfer Spitze befand. Muller begrüßte ihn mit einem Kopfnicken und sagte: „Wie geht es deinen Beinen?“
„Ausgezeichnet.“
„Und dein Freund – mochte er den Schnaps?“
„Er hat ihn genossen“, sagte Rawlins und dachte dabei an das Glühen in Boardmans genießerischen Augen. „Er läßt dir durch mich eine Flasche mit einem ganz besonderen Brandy schicken und hofft, daß du ihm
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