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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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alles schon gegen die Nachricht, die er gerade erhalten hat? So unerträglich ihm dieser Mensch auch war, in diesem Augenblick hätte er ihn umarmen können und war bereit, ihm alles zu verzeihen, alles zu vergessen, alles hinter sich zu lassen, die Verhöre, die Demütigungen, die Haft, die Angst und den Haß, gegen den er sich zu wehren versucht, den er aber doch nicht immer in sich zum Schweigen hatte bringen können. Er wird »in den nächsten Tagen« frei sein! Frei! Frei! Er kann das Wort in Gedanken gar nicht oft genug wiederholen. Frei! Frei! Frei! Und bis er wieder kräftig genug wäre, um eingezogen zu werden, würde, ja, mußte der Krieg endlich vorbei sein.
    Rudi will gerade fragen, wann genau er denn nun mit seiner Entlassung rechnen könne, als es kurz und polternd an der Tür klopft. Ohne eine Antwort abzuwarten, tritt der oberste Gestapo-Chef,
Obersturmbannführer Berger, ein, der damals auch bei Rudis erstem Verhör hereingeplatzt war. Er sieht Rudi auf seinem Stuhl sitzen, scheint überrascht zu sein, und er sieht aus, als würde es ihm mißfallen, daß Rudi überhaupt noch lebt.
    Brettschneider informiert ihn kurz über Rudis Fall und den aktuellen Stand der Dinge. Obersturmbannführer Berger runzelt die Stirn. »Meinetwegen, meinetwegen, dann eben an die Front. Aber lassen Sie ihn unterschreiben, daß sein Gut nach dem Endsieg dem Reich überschrieben wird.«
    Brettschneider nickt. »Selbstverständlich, das ist alles geregelt.«
    Rudi kann es nicht fassen, daß jemand in diesen Tagen noch ernsthaft das Wort »Endsieg« in den Mund zu nehmen wagt.
    »Kommen Sie nachher in mein Büro«, verlangt Obersturmbannführer Berger vom Kommissar, dann reißt er seinen Arm nach oben, schlägt die Hacken zusammen. »Heil Hitler!«
    Rudi erschrickt fast. Zu lange hatte er diese Geste schon nicht mehr gesehen.
    Brettschneider steht auf und weist den Wärter, der vor der Tür steht, an, Rudi zurück ins Gefängnis zu bringen.
    Die Sonne scheint warm auf seine Haut, als sie den kurzen Weg zurücklegen. Rudi genießt es, wie er lange schon nichts mehr genossen hat. Bald wird er frei sein! Frei, frei … singt es in ihm! Dieser Alptraum wird ein Ende haben! Nun kann ihm nichts mehr etwas anhaben!

In »Schutzhaft«
    24. April 1945. Die letzten Tagen waren für Rudi eine Höllenqual: Jeder Augenblick, jede Minute von brennender Ungeduld erfüllt: »Wann komme ich endlich hier raus?« Jeder Bombenangriff wieder ein Ereignis, das ihn am ganzen Körper zittern ließ. Was, wenn er jetzt noch starb, jetzt, wo seine Entlassung beschlossen war, wo er sich schon sicher und beinahe unverletzbar wähnte? Was, wenn jetzt irgendein blöder Zufall es so wollte, daß eine dieser verfluchten
Bomben das Gefängnis traf? Wie oft kann dieses russische Roulette noch gut für ihn ausgehen?
    Jedes Öffnen der Zellentür ein Aufflackern der Hoffnung: Jetzt würde es endlich so weit sein, und dann doch nur der Name Wallners oder Presters oder das Essen oder der Befehl, den Eimer zu leeren.
    Er fragt sich schon, ob Brettschneiders Versprechen, ihn zu entlassen, voreilig gewesen, ob Obersturmbannführer Berger oder irgend jemand anders doch noch sein Veto eingelegt hatte, als sich die Zellentür öffnet und Rudi glaubt, seinen Ohren nicht zu trauen. Tatsächlich: Es fällt sein Name! Und offenbar zum letzten Mal. Der Wärter ruft »Bockelmann - Sie werden entlassen!« und scheint sich sogar selbst ein bißchen mit ihm zu freuen.
    Ein schneller Abschied von seinen Leidensgenossen und das Versprechen, schon in ein paar Tagen Besuch zu beantragen, Lebensmittel und Zigaretten und Schnaps mitzubringen.
    Ein letztes Mal geht es den langen Gang entlang, durch die vielen Gittertüren, die vor ihnen auf und hinter ihnen wieder zugeschlossen wurden. Ein letztes Mal die beiden Treppen ins Aufnahmezimmer hinab. Ungeduldig läßt er die letzten Formalitäten über sich ergehen, bekommt seine persönlichen Sachen wieder ausgehändigt und eine Bescheinigung über seine Haftzeit, die man - Rudi traut seinen Augen kaum - tatsächlich »Schutzhaft« nennt! Rudi kann seinen Blick kaum abwenden, es ist wirklich schwarz auf weiß, auf Briefpapier der »Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle Klagenfurt, Gefängnis«, mit doppeltem Durchschlag zu lesen: »Rudolf Bockelmann, geb. 14. 12. 1904, wohnhaft in Schloß Ottmanach befand sich von 8. 2. 45 bis 24. 4. 45 im hiesigen Gefängnis in Schutzhaft. Der Genannte besitzt keine Lebensmittelkarten, weil er hier

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