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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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Fliegerbombe oder eine Flakgranate«, gibt Werner aufgebracht zurück. »Überall liegen noch diese Dinger herum, Blindgänger, die beim Abschuß nicht explodiert sind und die jetzt eine tödliche Gefahr für die Bevölkerung darstellen. Damit wir diesen Horrorkrieg nur ja nicht einen einzigen Tag vergessen können.« Werner könnte platzen vor Zorn, wenn er an die vielen sinnlos Verletzten und Getöteten denkt, die diese scheußlichen Kriegs-›Souvenirs‹ immer wieder anrichten. Und er beschließt, daß es oberste Priorität in dieser Stadt haben muß, diese Sprengfallen restlos aufzuspüren und unschädlich zu machen. Anders kann man nicht in die Zukunft blicken. Draußen hört er die Sirenen der Militärpolizei, die wahrscheinlich zu der Unglücksstelle rast.
    »Hoffentlich ist niemand verletzt worden«, meint Rudi, als Werners Sekretärin ins Zimmer stürzt und ihm atemlos irgendetwas von einer Explosion in seinem Garten, im Garten seiner Dienstvilla erzählt. Erst als die Namen seiner beiden Söhne fallen
und die Worte: »schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht«, erfaßt Werner das Entsetzen schlagartig und ungefiltert. »Nein, nein, das kann nicht sein!« schreit es in ihm, als er den Telefonhörer einfach auf den Schreibtisch fallen läßt und losrennt, ohne Mantel, ohne Erklärung, vorbei an seiner Sekretärin, die Treppen runter. Ohne ein einziges Mal innezuhalten, ohne auf den Verkehr oder irgendetwas zu achten, hetzt er los und hat nur noch ein einziges Ziel, einen einzigen Gedanken: Er muß zu seinen Jungs, er muß irgendetwas tun.
    Wenige Schritte vor dem Krankenhaus trifft er auf Rita, die gerade von einem Krankenbesuch bei einer Freundin kommt und noch keine Ahnung von der Katastrophe hat, die ab sofort wie ein Alptraum über ihrem Leben hängen und sie nie mehr loslassen wird. Ihr Lächeln erstirbt auf den Lippen, als sie Werner rennend und in offensichtlicher Panik erkennt. Es ist keine Zeit für lange Erklärungen.
    »Es ist etwas Furchtbares passiert!« sind die einzigen Worte, die er in diesem Augenblick findet.
    Im Krankenhaus herrscht Hektik. Sie werden von einem zum anderen geschickt, werden gebeten zu warten. Um sie herum werden Kranke geschoben, rennen Ärzte und Schwestern zu ihren Patienten.
    »Ich will jetzt sofort meine Söhne sehen!« fordert Werner vehement und wird von einem Arzt endlich gemeinsam mit Rita in ein Dienstzimmer gebeten. Man verlangt, daß sie sich setzen.
    »Ich will mich nicht setzen, ich will zu meinen Kindern!« Rita ist aufgebracht und voll Angst.
    Und dann erklärt der Arzt ihnen in wenigen Sätzen das Schrecklichste, was man Eltern sagen kann: Die Kinder haben im Garten mit einer Flakgranate gespielt, die explodiert ist. Für den größeren Jungen, Mischa, kam jede Hilfe zu spät. Ein Splitter ist in seine Leber eingedrungen. Er ist schon auf dem Weg ins Krankenhaus ins Koma gefallen und hier seinen schweren Verletzungen erlegen. Man konnte nichts mehr für ihn tun. Der Arzt spricht sein Beileid aus.
    »Nein!« ruft Rita. »Nein!« Und immer wieder nur »Nein!«
    »Und Andrej?« schreit sie dann fast. »Was ist mit Andrej?«
    »Wir wissen leider noch nichts Genaues. Ihr jüngerer Sohn ist schwer verletzt. Er wird gerade operiert. Wir tun unser Bestes.«

    »Ist er in Lebensgefahr? Sagen Sie uns die Wahrheit! Bitte!« Werner spürt Ritas Hand, die sich fest an seine klammert.
    »Wir müssen die Operation abwarten. Er hat schwere Verletzungen des Magens und des Darms, und er hat eine große, tiefgehende Wunde am Bein. Wir wissen noch nicht, wie schlimm die Verletzungen und die inneren Blutungen sind und ob wichtige Blutgefäße verletzt wurden. Unsere besten Ärzte kümmern sich um ihn.«
    Werner hat oft davon gehört, wie ein Schock einem alles unwirklich erscheinen läßt und den Schmerz, die Verzweiflung mildert. Er fühlt sich auch tatsächlich wie von dichtem Nebel umgeben. Er hat die Worte gehört, aber er kann sie nicht begreifen, doch der Schmerz ist auch in diesem Nebel peinigend präsent. Er kämpft gegen ihn, er atmet gegen ihn an, aber er läßt sich nicht besiegen und nicht begreifen.
    Man führt sie in ein abgelegenes Zimmer. Sie sollen Abschied nehmen. Abschied von Mischa, der heute morgen noch so quirlig Ball gespielt, sich auf die Schule gefreut hat und auf das Wochenende mit seinem Vater. Werner hat ihn beim Weggehen nur kurz gedrückt. Jetzt stehen diese Erinnerungen voll Entsetzen vor seinen Augen. Wenn er doch nur die Zeit zurückdrehen

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