Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
Vom Netzwerk:
und ich fühlte eine Faszination, die mir fast den Atem raubte. Sie war die beste Rock’n’Roll-Tänzerin, die ich jemals gesehen hatte. Sie sah meinen Blick und erwiderte ihn mit einer gewissen Herablassung, aber sie versicherte sich fortan immer wieder der Tatsache, daß ich sie immer noch ansah.
    So begann eine heftige, leidenschaftliche Affäre, die so ganz anders ist als meine Beziehung mit Gitta. Vor Gitta fühle ich mich oft unzulänglich - menschlich und musikalisch. Panja gegenüber kenne ich solche Gefühle nicht, aber die verworrene Situation kostet mich unendlich viel Kraft.
    Wie, in aller Welt, kommen eigentlich andere Menschen mit diesen Widersprüchen in der Seele, diesem ständigen Zwiespalt zwischen Freiheit und Zweisamkeit zurecht? Aber so sehr mich diese inneren Kämpfe auch belasten, ich fühle auch ganz deutlich: diese Sehnsucht, die mich untreu und irgendwie auch rücksichtslos sein läßt, kommt ganz eindeutig aus der gleichen Quelle wie jene treibende Kraft, die mir Ideen, Lebensfreude gibt, mich Musik machen läßt.
    »Jenny, oh Jenny, bin ferne von dir«, stimme ich wieder ein und probiere verschiedene Melodiebogen über der in ruhigen Dezimen zerlegten Akkordbegleitung aus. Langsam wird das Lied immer »runder«, und es scheint fast ein bißchen so, als wäre es immer schon da, immer schon in mir gewesen und hätte nur entdeckt werden müssen. Wie ein Archäologe, der irgendwelche seit unendlichen Zeiten vergrabene und vergessene, aber immer vorhandenen Mauern und Steine ans Tageslicht fördert. Mit jedem Ton, den ich spiele, spüre ich, daß das Lied genau so und nicht anders sein muß, und das gibt mir ein Glücksgefühl, das bei all der persönlichen inneren Zerrissenheit, die ich in mir spüre, beinahe absurd und doch um so bedeutender und wichtiger für mich ist.

    Was sollen bloß diese privaten Quälereien?, begleiten meine Gedanken mein Klavierspiel. Das, was ich hier an diesen 88 Tasten mache, das ist mir wichtig. Alles andere, ob es mir oder anderen weh tut, ist doch letztlich nebensächlich. Spießerkram. Unwichtig. Belastend, verdammt nochmal.« Beinahe wütend haue ich in die Tasten. Wütend auf Panja, die mich ohne es zu wissen in dieses innere Chaos gestürzt hat. Und auf Gitta, die mir mit ihrer Selbstlosigkeit Schuldgefühle macht. Vor allem aber wütend auf mich selbst, der ich mich mit dem, was für mich nun einmal wichtig ist, nicht durchsetzen kann, wütend auf diese ganze Spießerwelt mit ihrer Ordnung, die mir so verlogen und kraftraubend zu sein scheint, und überzeugt davon, daß der gnadenlose Egomane in mir, der mich beherrscht, sobald ich am Klavier sitze, zu seinem Recht kommen muß, allem anderen zum Trotz, sonst kann ich all meine Träume und Ziele und Wünsche gleich begraben.
    »Das ist wunderschön!« Gitta nickt mir lächelnd zu, und ich schaue in ihr offenes, intelligentes Gesicht. Plötzlich fühle ich mich ihr wieder ganz nah, und ich beschließe, ihr vorerst nichts von Panja und meinen Gedanken an Trennung zu sagen.
    Der »Alles-auf-die-lange-Bank-Schieber« in mir gewinnt langsam wieder die Oberhand. Was sind schon alle möglichen Verwicklungen der Liebe gegen ein neues Lied?
    Die Musik habe ich inzwischen fertig. Längst bin ich dabei, den Text irgendwie hinzukriegen: »Gib mir die Antwort, sag, was du denkst, ob du dein Herz von neuem mir schenkst.« Na ja, nach großer Lyrik klingt es nicht gerade, aber gesungen könnte es sich ganz gut anhören. Es könnte das erste eigene Lied werden, das ich auf Platte aufnehme. Es ist vielleicht noch nicht der ganz große Wurf, aber doch tausendmal besser und authentischer als das meiste, was ich bisher an Fremdkompositionen - zum Teil mit erheblichen Bauchschmerzen und Peinlichkeitsgefühlen aufgenommen habe. Das müssen doch auch die Verantwortlichen bei den Plattenfirmen spüren. Irgendwie werde ich damit bestimmt einen Produzenten überzeugen können.
    »Dann komm ich heimwärts, heimwärts will ich zieh’n!«. Ich schreibe die letzten Zeilen aufs Blatt und finde mein Leben einfach total verrückt - und wunderschön.

Das zerrissene Photo
    August 1959. Die Straßen und Häuser geben die brütende Hitze des Tages frei. Die milde Abendsonne läßt die renovierungsbedürftigen Gebäude der Wiener Hofburg, die riesigen Reiterstatuen am Heldenplatz beinahe wieder so imposant erscheinen, wie sie früher einmal gewesen sein müssen. Flanierende Menschen auf dem Weg in die Stadt oder die umliegenden Parks und

Weitere Kostenlose Bücher