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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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kannst du auch gar nicht kennen, das hab ich gerade erst komponiert.« Ich lasse mir das Wort »komponiert« dabei stolz auf der Zunge zergehen.
    Mein Vater schüttelt ungläubig den Kopf. »Spielst du es noch einmal für mich?«
    Mein Vater blickt aus dem Fenster auf den Hof, und seine Haltung drückt Gefühle aus, die wir beide gar nicht in Worte fassen können.
    Lange nachdem ich den letzten Ton habe verklingen lassen, dreht er sich um und meint mit etwas rauher Stimme. »Hast du schon einen Namen dafür?«
    Ich nicke. Seltsamerweise war der Name für das Stück mir von Anfang an klar, den Titel hatte ich irgendwo schon mal bei einem Chopin-Klavierstück gelesen: »Ich möchte es gern ›Valse Musette‹ nennen, und ich möchte es dir schenken.«
    Mein Vater umarmt mich, setzt sich zu mir, und er spricht mit mir wie mit einem Erwachsenen: über die Sorgen, die er sich immer um mich gemacht hat, die Ratlosigkeit, vor die ich ihn mit meinen Schwierigkeiten immer gestellt habe, die Frage, ob man hart mit mir umgehen, mich einer Erziehung mit starker Hand unterziehen müsse, damit aus mir im Leben irgendetwas werden könne, die er manchmal mit seinen Brüdern und mit meiner Mutter diskutiert habe. Und über sein Gefühl, daß das falsch wäre und daß das alles irgendwie schon seine Richtigkeit habe und daß er jetzt ganz genau wisse, daß er damit recht gehabt habe.
    »Junge, morgen ist ein neuer Tag, und gleich wenn du aus der Schule zurückkommst, müssen wir mit ausgeruhtem Kopf über deine Zukunft sprechen. Laß uns jetzt schlafen gehen.«

    Mein zwölfter Geburtstag liegt seit mehr als zwei Stunden hinter mir. Vielleicht wird man mit zwölf wirklich ein bißchen erwachsen, denke ich.
    Er legt mir eine Hand auf die Schulter. Leise, mehr zu sich selbst als zu mir meint er, als wir zurück zu den Schlafzimmern gehen: »So etwas Verrücktes. Da geht man einmal mit dem Buben ins Theater, und das kommt dabei heraus« - und lacht.

15. KAPITEL
    Wien, Mai / August 1959

»Jenny«
    »Jenny, oh Jenny, bin ferne von dir.« Ich taste mich noch etwas unsicher in B b -Dur herum, eine Melodie im Kopf, an der ich seit Tagen feile und die langsam zum Leben erwacht. Ein bißchen wie ein Schubert-Lied müßte man das arrangieren, ganz schlicht. Die Melodiebogen laden geradezu dazu ein. Vielleicht sollte man ein paar Streicher nehmen - und natürlich mein Klavier. Gegen Ende müßte es aufblühen. Ja, nach dem Mittelteil gibt es eine ganz logische Möglichkeit, nach oben zu transponieren, nicht nur einen halben oder ganzen Ton, nein, eine kleine Terz! Nach Des-Dur, das strahlt und blüht. Ja, das ist es! Ich fühle es: Ich bin auf dem richtigen Weg!
    Das Klavier in der Wiener Wohnung von Gittas Eltern ist mir seit Jahren vertraut. Ein wunderschöner, alter Bösendorfer Flügel, der sich fast wie von selbst spielt und dessen Klang mich inspiriert wie Gittas Nähe. Trotz aller Probleme, die seit langem zwischen uns stehen und jeder Begegnung einen Hauch von Abschied verleihen.
    Ein paar gemeinsame Tage in »unserer« Stadt, Besprechungen und Proben für mein Juli-Engagement mit Johannes Fehring im Volksgarten, bevor ich in etwas mehr als einer Woche gemeinsam mit dem Münchner Orchester Max Greger auf Rußland-Tournee gehen und die erste Heimat meines Vaters zum ersten Mal mit eigenen Augen sehen werde. So langsam tut sich etwas in meiner Karriere, und es kommen interessante Aufgaben auf mich zu, aber immer noch ausschließlich mit Liedern, die nicht von mir sind.
    »Jenny« wird vielleicht der Anfang für etwas Neues sein …

    Wien, die Stadt, in der ich als Sechzehnjähriger den österreichischen Komponistenwettbewerb unter 300 Teilnehmern als jüngster Bewerber gewonnen habe … Ich bin damals gemeinsam mit meiner Mutter zur Endausscheidung angereist.
    Die Stücke wurden von einem großen Orchester - nicht von den Komponisten selbst - gespielt und direkt im Radio übertragen. Wir saßen im Zuschauerraum, und ich wußte, daß mein »Je t’aime« in diesem Augenblick in ganz Österreich zu hören war. Genauso wie die Verkündung des Siegers - mein Name! Ein einziger Taumel aus Begeisterung und Unfaßbarkeit. Ein Umtrunk »zu meinen Ehren«, sogar erste kleine Interviews. Was für ein Abend! Was für ein Leben, das mir plötzlich fast wie selbstverständlich offenzustehen schien!
    Danach ein Spaziergang mit meiner Mutter durch das frühe Nachkriegswien. Der Stadtpark bei Nacht. In der Nähe ein Blumenkiosk, der noch aufhatte. Ich

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