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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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kaufte zwei rote Rosen - eine für meine Mutter, eine brachte ich Johann Strauß an sein Denkmal im Stadtpark. In meinem Sonntagsanzug und den guten Schuhen kletterte ich auf den Sockel, lachte über die Proteste meiner Mutter: »Junge, was machst du denn da schon wieder für einen Blödsinn. Komm sofort da runter! Hörst du! Auch als Komponistenpreisträger kannst du doch nicht einfach so was machen!«
    Aber da hatte ich die Rose schon mit einem leisen »Danke« auf die Geige »meines« Schutzpatrons gelegt …
    Damals habe ich unsere Hauptstadt zum ersten Mal gesehen, und sie hat mir immer wieder Glück gebracht. Heute scheint es ähnlich zu sein. Die Sonne steht hoch über den Dächern. Durch die geöffneten Fenster weht ein sanfter, warmer Hauch von Frühling. Die Wohnung von Gittas Eltern liegt mitten im Zentrum der Stadt, in einer der engen Gassen des ersten Bezirkes, in denen sich reichverzierte Patrizierhäuser aneinanderreihen. Viele sind noch vom Krieg beschädigt, und in vielen Gegenden macht die Stadt einen ziemlich verwahrlosten Eindruck. Wien war für mich immer schon ein wenig »balkanesk« mit dieser typischen Haltung von »nur net aufreg’n« oder »irgendwer wird’s schon richten«, die eigentlich gar nicht so recht zu den Prachtbauten und dem Innenstadtflair alter Weltherrschaft passen will und der Stadt und den Menschen hier natürlich auch einen ganz und gar unverwechselbaren
Charme verleiht. Das »Nur net aufreg’n« scheint ein Wahlspruch der Wiener zu sein. Dabei scheint es mir, als würde man sich nirgends sonst auf der Welt über alles und jedes so maßlos schimpfend und zeternd aufregen wie in Wien.
    Aus der Ferne der wenige Straßen weiter liegenden Ringstraße dringt gedämpft das monotone Rauschen des Großstadtverkehrs - oder ist es der Wind in den Bäumen des nahen Stadtparks? -, das sich merkwürdig in das Klappern der Hufe, das Schnauben der Pferde und das Rollen der Kutschräder der Fiaker mischt, die hier, durch die engen Innenstadtgassen, Touristen zu den Sehenswürdigkeiten bringen. Merkwürdig anachronistische Töne, die die seltsame Atmosphäre einer längst verklungenen Zeit in die Gegenwart zaubern, der man sich in dieser Stadt irgendwie niemals wirklich zu stellen scheint. Widersprüche, für die ich Wien so liebe. Traum und Leben reichen sich hier die Hände.
    Vielleicht ist es gerade diese Mischung aus Melancholie und Frühlingserwachen, die mich in diesen Stunden anregt zu komponieren. Die Melodie nimmt langsam Formen an: Schlicht, verträumt wie dieser Nachmittag und fast ein wenig volksliedhaft.
    »Ein bißchen hat es die Stimmung von Brahms’ Wiegenlied«, meint Gitta, und ich stimme ihr zu.
    Aber wie soll ich nur an einen guten Text kommen? Die erste Zeile, die ich gerade wie selbstverständlich auf die Musik gesungen habe, hört sich ja eigentlich ganz gut an, aber wie geht’s weiter?
    Zwei Jahre ist es nun her, seit ich im Gespräch mit Gitta vor meiner Abreise nach Amerika den Plan gefaßt habe, meine eigenen Lieder in deutscher Sprache zu schreiben, aber noch immer bin ich keinen ernsthaften Schritt auf diesem Weg weitergekommen. Der größte Hemmschuh dabei ist nach wie vor, geeignete und wirklich gute Texte zu finden. Mit 15, 16 Jahren habe ich zu meinen ersten Liedern die Texte selbst gemacht. Ziemlich naiv natürlich. Eigentlich sollte ich das heute, zehn Jahre später, ja besser hinbekommen.
    Es ist merkwürdig, in Englisch klingt immer alles irgendwie charmant, sogar wenn es heißt »I’ve got you under my skin - I’ve got you deep in the heart of me …« Das klingt lässig und gut. Aber »Ich hab dich unter meiner Haut - ich hab dich - tief in meinem Herzen«, hört sich einfach lächerlich an. Die deutsche Sprache hat einen völlig anderen Zugang zu Emotionen, eine ganz andere
Peinlichkeitsschwelle als die englische. Selbst von Menschen, deren Muttersprache Englisch ist, werden Texte wie »Every time I see you grin, I’m such a happy individual« überhaupt nicht als grotesk empfunden. In deutsch ernsthaft singen zu wollen »Jedes Mal, wenn ich dich grinsen seh, bin ich so ein glückliches Individuum«, wäre schlicht albern. Seltsame Gesetze der Sprache, die mir das Finden meines Weges ganz schön schwermachen.
    Man müßte sich an den französischen Chansons orientieren. Das sind Texte, die aus der Alltagssprache kommen. In ihnen kommen ganz normale Worte wie »Treppenhaus«, »Mülleimer«, »Rechtsanwalt«, »Zigarettenschachtel« oder

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