Der Mann mit dem Fagott
Gärten. Viele Liebespaare Hand in Hand. Aus dem nahen Volksgarten dringt schon leise Duke Ellingtons »Take The A-Train«, gespielt vom Orchester Johannes Fehring. Noch eine halbe Stunde bis zu meinem Auftritt.
Seit kurzem bin ich von meiner Rußland-Tournee zurück, die ich gemeinsam mit dem Orchester Max Greger absolviert habe. Wir waren das erste westliche moderne Orchester, das in diesem Land auftreten durfte. Mehrere Wochen lang haben wir das Riesenreich bereist, immer unter dem wachsamen Auge der Diktatur.
Natürlich haben wir auch in Moskau gespielt, aber von der Atmosphäre und den Erinnerungen, die mein Vater mit seiner Geburtsstadt verbindet, habe ich kaum etwas gefunden. Nirgends eine Spur der verloschenen Zeit. Dem Wohnhaus meines Großvaters in der Kasakowa durfte ich mich aus unerfindlichen Gründen nicht nähern, die »Dolmetscher«, die uns überwacht haben, haben es nicht zugelassen »Keine Gegend für Touristen«, war alles, was sie an Erklärung boten. Auch die Bank konnte ich nur von der anderen Straßenseite aus sehen. Anscheinend ist sie inzwischen so etwas wie die Staatsbank. Nur das Bolschoj-Theater mit Apollo auf dem Dach haben wir besichtigt. Es war ein seltsames Gefühl, dem »Schutzpatron« meines Vaters nahe zu sein. Doch das Theater selbst ist in einem maroden Zustand, Mauerstücke bröckeln, und an der Zarenloge hängt natürlich nicht mehr das Emblem mit der Zarenkrone, sondern das russische Staatswappen mit Hammer und Sichel.
Nun aber bin ich seit wenigen Wochen zurück, habe ein paar Tage mit Panja in München verbracht, bin nun in Wien, um mein Sommerengagement bei Johannes Fehring zu absolvieren - und bin mit Gitta zusammen.
Eine Weile schlendern wir schweigend Richtung Volksgarten. Sie ist heute irgendwie seltsam. Ein wenig traurig, ein wenig unruhig, manchmal scheint sie Anlauf zu nehmen, mir irgendetwas zu sagen und läßt es dann doch, nimmt statt dessen meine Hand.
Beinahe sind wir am Hintereingang des Volksgartens angekommen. Vorne drängen sich Menschen, die auf Einlaß warten. Es ist einer der schönsten Sommerabende des Jahres, und der »Volksgarten« ist wieder bis auf den letzten Platz gefüllt. Bevor wir eintreten können, hält Gitta mich zurück. »Weißt du was, ich glaube, ich komme heute besser nicht mit.«
Ich sehe sie erstaunt an. Normalerweise bleibt sie immer zumindest für eine Weile, um mein erstes Set zu hören, manchmal auch für den ganzen Abend. »Was ist denn los?«
»Nichts. Wirklich. Ich bin nur irgendwie müde und durcheinander und muß morgen früh aufstehen. Wir haben vormittags Probe. Und ich … Ach, ich weiß auch nicht …«
»Nun sag schon, was ist denn los?« Eigentlich steht mir so kurz vor meinem Auftritt der Sinn überhaupt nicht nach einer Diskussion.
Gitta lächelt mich an. »Mach dir keine Sorgen. Ich glaube nur, es ist auch besser für dich, wenn ich nicht jeden Abend dabei bin, während du spielst. Ich möchte nicht immer hier sitzen, als würde ich dich bewachen. Da komme ich mir manchmal so blöd vor. Ich möchte, daß du dich frei fühlst!«
Ich lache etwas gequält. »Rede doch keinen Unsinn!«
Aber Gitta schüttelt den Kopf. »Es ist wirklich besser so. Mach dir keine Gedanken.«
Ich will sie nicht bedrängen, außerdem spielt Hans Salomon, der Alt-Saxophonist des Orchesters gerade ein atemberaubendes Solo, das meine Sinne fesselt. »Gut, wenn du das so willst … dann sehen wir uns also morgen nachmittag?«
Die Nächte können wir selten miteinander verbringen. Bei ihr zu wohnen, in der Wohnung ihrer Eltern, wäre völlig undenkbar. Außerdem spielen wir bis nach Mitternacht, gehen danach oft noch in die »Adebar« in der Annagasse oder in den Jazzclub des phantastischen Klarinettisten Fatty George zu einer Jam Session. Vor fünf Uhr morgens bin ich selten im Bett, und so ein »Lotterleben« könnte ich natürlich nicht in der Wohnung von Gittas Eltern führen.
So habe ich - wie immer, wenn ich in Wien bin - ein Zimmer im »Hotel Wienzeile«, einem Stundenhotel. Da wohnen viele Musiker, Kellner, aber natürlich auch eine seltsame Mischung aus Gestrandeten, Kleinkriminellen, harmlosen Spinnern, Huren, Spielern, Ehemännern mit ihren Freundinnen, Träumern, Trinkern, Einsamen und Verliebten, die hier Unterschlupf suchen, ohne unangenehme Fragen beantworten zu müssen.
Die Zimmer sind billig, es gibt fließendes Wasser, und niemand stellt dumme Fragen, wenn Gitta oder jemand anderes mal bei mir ist. Allerdings muß
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