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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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ähnliche Begriffe vor, die man in Liedern normalerweise nicht kennt. Es werden Geschichten aus dem täglichen Leben, aus der Erfahrungswelt der modernen Gesellschaft erzählt. Man müßte begabte Autoren finden, die man in diese Richtung beeinflußt.
    Egal. Erst einmal »Jenny« ausarbeiten, dann sieht man weiter. Da werde ich den Text mal wieder selber versuchen. Dieses Lied braucht keine große Philosophie, der Inhalt sollte schlicht und einfach sein, eine kleine Liebesgeschichte.
    Wie ich gerade auf den Namen »Jenny« komme, weiß ich nicht so genau. Instinktiv fühle ich, daß es der richtige Name für das Lied ist. »Jenny«, das »stimmt« einfach. Und vielleicht bringt der Name mir ja Glück. Er kam sogar in meiner Familie schon einmal vor: die Schwester meiner »schwarzen Omi« hieß Jenny. Der Name hat also sogar mit meinen Wurzeln zu tun. Und obendrein gibt es eine alte Songschreiberregel: »Wenn dir keine wirklich überzeugende Titelzeile einfällt, nimm einen hübschen Mädchennamen, das zieht immer.«.
    Gitta sieht mich erwartungsvoll an, und ich weiß nicht, ob dieser Blick mehr dem Gedeihen meines Liedes oder mir selbst gilt. Wir haben uns lange nicht gesehen. Früher ließ sich die Unsicherheit bei jedem neuen Wiedersehen innerhalb von Sekunden durch einen Blick, ein Lachen, eine Berührung verscheuchen. Heute aber ist mir das Klavier soviel wichtiger als alles andere, soviel wichtiger als unser Wiedersehen und Zusammensein, und Gitta schwankt ganz offensichtlich zwischen Freude über meine neu aufflackernde Kreativität und Verunsicherung über meine scheinbare Kühle ihr gegenüber.

    Für mich ist in diesem Augenblick aber die Frage viel wichtiger, ob B b -Dur richtig ist für das neue Lied oder ob A-Dur oder H-Dur vielleicht besser wären. Aber A-Dur wäre etwas zu tief für meine Stimme, und H-Dur würde zu sehr strahlen, und der Schluß wäre dann in D… Nein, nein, B b -Dur und am Ende Des-Dur ist richtig, da behält das Lied den nötigen Hauch Melancholie. B b -Dur also.
    Gitta bringt mir einen Kaffee. Ich sehe kaum auf.
    Vor ein paar Jahren noch war ich davon überzeugt gewesen, daß wir spätestens wenn ich 25 Jahre alt bin, verheiratet sein würden. Als wir uns kennenlernten, dachte ich, bis dahin würde ich die nötige Reife besitzen, und ich würde bereit sein, mich zu binden. Nun bin ich bald 25 und meilenweit von dieser Reife entfernt. Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, will ich eigentlich nur zwei Dinge: unbelastet Musik machen, so wie ich mir das vorstelle, und mir damit ein Leben aufbauen und zwischendurch soviel Spaß haben, wie es für einen jungen Mann möglich ist. Beziehung, das steht für mich einfach nicht annähernd so im Lebensmittelpunkt wie es wohl sein müßte, wenn ich eine Ehe eingehen würde.
    Ich habe es ja nicht einmal geschafft, ihr damals aus Amerika den Kieselstein vom Strand mitzubringen, um den sie mich gebeten hatte. Ich habe es einfach vergessen. Sie hat gelacht und gesagt: »Ach, das war doch nicht so wichtig.« Aber ihr Lachen hatte bemüht geklungen. Ich wußte, ich hatte sie enttäuscht, und ich würde sie immer wieder enttäuschen.
    Und ich bin ihr schon in diesen paar Jahren nicht treu gewesen und habe keine Ahnung, ob ich das jemals könnte. Sie weiß es wahrscheinlich nicht, aber sie ahnt es bestimmt, verdrängt es wahrscheinlich.
    So ist mein Privatleben natürlich immer mehr aus allen Fugen geraten. Es war ja auch nur eine Frage der Zeit bis zu einer Situation, die unlösbar scheint. Wie um das Chaos perfekt zu machen, habe ich neben meiner immer schwieriger werdenden Beziehung zu Gitta schon seit längerer Zeit in München, meinem neuen Wohnsitz, ein ungestümes Verhältnis zu einer ganz anderen Frau, von der ich mich immer wieder getrennt habe, um dann nur um so heftiger wieder mit ihr zusammenzukommen. Wir sind wie Feuer und Wasser. Ich weiß genau, daß das nicht gutgehen kann, aber ich kann auch die Finger nicht von ihr lassen.

    Sie heißt Erika, nennt sich Panja, manchmal jobbt sie als Fotomodell, manchmal hilft sie in einer Bar aus. Panja ist eine der attraktivsten und eigensinnigsten Frauen in der Münchener Existentialistenszene. Als ich sie zum ersten Mal sah, wirbelte sie barfuß, schwarz gekleidet und mit unbändigen dunklen Haaren auf der Tanzfläche des »Hotclubs« herum. Alle anderen Tanzpaare waren auf die Seite getreten und feuerten sie an, ihr Partner spielte eine Statistenrolle für die berauschende Vorstellung, die sie gab,

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