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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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man damit rechnen, ungefähr einmal pro Woche von einer Razzia früh am Morgen aus dem Bett gerissen zu werden. Sie prüfen die Papiere, dann gehen sie wieder.
    Vor ein paar Tagen war Gitta bei mir, als das passierte. Daß sie ab und zu über Nacht wegbleibt, wird von ihren Eltern stumm geduldet. Die Razzia aber könnte dieses Arrangement zerstören. Vielleicht ist sie deshalb heute so seltsam.
    Seit Jahren immer die gleichen Probleme mit unserem lockeren Verhältnis, das sie in Stundenhotels und an ähnliche würdelose Orte treibt, um mit mir zusammensein zu können. In einem sogenannten ordentlichen Hotel darf man unverheiratet nicht absteigen, auch in einer Wohnung wäre nächtlicher Damenbesuch undenkbar. Doch das Geld dafür haben wir beide natürlich ohnehin nicht, im Volksgarten verdiene ich kaum 200 Schilling am Abend, aber mit meinen 23 Jahren mit Fehring zu spielen, das ist wichtiger als die Gage.
    »Ja, ruf mich an!« So leichtfüßig wie möglich verabschiedet sie sich von mir, wünscht mir »toi, toi, toi« und verschwindet auf die Ringstraße zur Straßenbahnhaltestelle.
    Ich blicke ihr einen Augenblick hinterher, dann tauche ich in »meine« Welt des Volksgartens ein, werde umfangen von der trügerisch leichtlebigen Atmosphäre hinter der Bühne, den Klängen dieses exzellenten 18-Mann-Orchesters, denke daran, wie ich vor inzwischen drei Jahren zum ersten Mal bei Johannes Fehring vorgesprochen hatte: ein kleiner, etwas rundlicher Mann schwer zu schätzenden Alters.
    Sein Orchester ist schon lange international geachtet! Das Johannes-Fehring-Orchester wird in einem Atemzug genannt mit dem deutschen Weltklasse-Jazz-Orchester Kurt Edelhagen oder mit
dem Londoner Orchester Ted Heath, das als das beste Europas gilt. Johannes Fehring - dieser Mann ist für jeden ernstzunehmenden Jazz-Musiker ein Vorbild. Die Solisten des Orchesters bilden eine eigene Combo, die »Austrian All Stars«, die in internationalen Fachblättern als Europas bestes Jazzensemble bewertet wird. Mit so einem Orchester spielen, Musik auf diesem Niveau machen zu dürfen - es war ein Traum, der fast unerreichbar schien.
    Die Filmschauspielerin Ilse Peternell, die mich irgendwo am Wörthersee in einer Bar gehört hat, hatte mir den Kontakt vermittelt. Ich sollte eines Nachmittags in die Bar des Parkhotels Schönbrunn in Wien kommen, um Johannes Fehring vorzuspielen, der einen Band-Sänger suchte.
    Der Raum lag im Halbdunkel, die Bar war noch geschlossen. Es herrschte eine Atmosphäre von Unwirklichkeit. Johannes Fehring und Ilse Peternell hatten sich mit einem Glas Wein in eine Ecke gesetzt. In der Mitte stand ein tadelloser Flügel.
    »Herr Fehring, es ist eine große Ehre für mich, Ihnen vorspielen zu dürfen« Irgendetwas in der Art hab ich wohl gestottert.
    »Red net, Burschi, spiel«, war seine überraschende Antwort, aber durchaus in freundlichem Ton. Irgendwie war mir Johannes Fehring in seiner trockenen Art ungemein sympathisch, ich fühlte mich gut in seiner Gegenwart.
    Ich ging ans Klavier, begann mit »Funny Valentine«, einer Ballade. Ich spürte, daß meine Stimme ruhig »saß« und mir die Akkordfolgen souverän gelangen. Da und dort baute ich noch einen Tonartwechsel oder eine Dehnung ein und hatte ein richtig gutes Gefühl. Ich ließ den Song in einem leisen Akkord verklingen, Johannes Fehring blickte gar nicht in meine Richtung, er schien nachdenklich in sich versunken, schwieg, klatschte dreimal leise in die Hände, widmete sich wieder seinem Wein.
    Ratlos fragte ich mich, ob ich nun das Klavier verlassen sollte, doch da Fehring nichts sagte, entschloß ich mich, noch eine Nummer zu spielen: »I’ve Got You Under My Skin«. Da konnte ich das Klavier ganz leicht swingen lassen. Meine Stimme klang gut in dem leeren Raum. Ich hatte die Nervosität vor dem »großen« Johannes Fehring abgelegt, nur seine seltsame Reaktion von vorhin verunsicherte mich, aber ich schob das Gefühl beiseite, genoß das präzise gestimmte Klavier.

    Als ich fertig war, das gleiche Spiel wie zuvor: drei kurze, leichte Klatscher in die Hände, dann der Griff zum Weinglas. Das war dann wohl also nichts gewesen, dachte ich und versuchte, meine Enttäuschung zu verbergen. Einen Versuch war es aber allemal wert gewesen. Was sollte ich jetzt tun?
    Da Johannes Fehring nichts sagte, mich nicht verabschiedete, mir kein Zeichen gab, daß es nun genug sei, dachte ich, ein drittes Stück könne jetzt auch nicht mehr schaden - und sei es auch nur zu meinem

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