Der Mann mit dem Fagott
ziehe ich mich um, mache mich auf den Weg.
Das ›Café Bazar‹ ist an diesem Mittag nur schwach besucht. Meine Eltern haben einen Tisch an einem der großen Fenster mit Blick auf die Salzach und die bei aller noch sichtbaren Zerstörung fast atemberaubend schöne Silhouette der Stadt bestellt. Ruinen und Pracht nebeneinander. Gegensätze, deren Spannung auch inspiriert. Wunden der Zeit, die man zu schließen versucht. Mahnmale für den Frieden.
Meine Eltern sind auch gerade erst gekommen.
»Ist das nicht schrecklich, diese Sache mit James Dean«, begrüßt mich meine Mutter. Sie hat es gerade in der Zeitung gelesen. Allgemeine Betroffenheit.
Mein Bruder Joe kann leider nicht bleiben. Er muß gleich weiter nach München, überreicht mir sein Geschenk, ein Bühnenhemd, das wunderbar zu meinem neuen Anzug passen wird. Ein liebevolles Zeichen seiner Anerkennung, das mich berührt, wie seine Begeisterung für den gestrigen Abend. Annäherung der ungleichen Brüder.
Liebevoll verpackt überreichen meine Eltern mir die ersehnten Leckereien aus Ottmanach und den Pullover, den ich mir gewünscht habe. Doch mein Vater macht es spannend, hält noch ein Päckchen bereit, das wichtigste, bedeutungsvolle. »Nach dem Essen!«
Die unbeschwerte Stimmung des gestrigen Abends hält an. »Patsy ist ja ein wirklich zauberhaftes Mädchen. »Wenn die mal nicht Gitta gefährlich wird«, scherzt mein Vater.
»Du wirst das schon machen«, vertraut mir meine Mutter, für die es immer ganz selbstverständlich war, daß ihre jungen Söhne Freundinnen hatten. Liebe macht kreativ, und junge Männer müssen sich austoben, war immer ihr Motto.
Den Stich in meiner Seele lasse ich mir nicht anmerken. Denke nicht ohne Schuldgefühle an Gitta - und an Patsys Sehnsucht nach dem kleinen Glück, die so gar nicht meine ist. Schuldgefühle nach allen Seiten. Typisch für mein Wesen. Die Seele im Aufruhr. Die Liebe scheint mir ein unlösbares Problem zu sein. Wie soll das später mal nur werden, wenn es jetzt schon so losgeht! Komplikationen. Gefühlschaos. Es ist soviel passiert in den letzten Tagen. Bin hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Zweifeln. Ein Leben in irgendeinem normalen Beruf wäre sicher einfacher, denke ich manchmal, aber für mich nicht lebbar, das weiß ich. Selbst wenn
ich mein Leben lang in Bars singen und spielen muß, bin ich glücklicher als in irgendeinem anderen Job. Ein Leben mit Sicherheitsnetz kann ich mir nicht vorstellen, entspricht so gar nicht meinem Wesen. Meine Eltern wissen das, haben nie versucht, mich daran zu hindern, meiner Seele zu folgen. Dafür bin ich ihnen dankbar.
Ich frage nach meiner Heimat. Nachdenklichkeit und fröhlicher Tatendrang im gleichen Moment. Meine Eltern sind dabei, den »Lamisch« auszubauen, eine zum Gut Ottmanach gehörende Alm mit atemberaubendem Blick über die Karawanken, Wiesen, Wälder, den niemand, der einmal dort war, jemals wieder vergißt. Dort wollen sie mit meinem jüngeren Bruder Manfred leben, wenn sie das Schloß verkaufen müssen. Sie sagen es mit leicht melancholischer Heiterkeit, fügen sich in das Unvermeidliche. Es ist eben nicht zu ändern. Und es ist kein Weltuntergang. Sie scheinen sich auf ein Leben auf dem Lamisch zu freuen.
Bei meinen nächsten Besuchen zu Hause werde ich Abschied nehmen müssen von Ottmanach, der Welt meiner Kindheit, den dicken Mauern, in denen unsere Familie der Zeit trotzte, dem herrlichen, weitläufigen Park, in dem ich jeden Busch und jeden Baum kenne, dem Teich, in dem ich mit vier Jahren schwimmen gelernt habe, den Feldern, auf denen wir Söhne meinem Vater bei unzähligen Ernten geholfen haben, dem großen »Eixendorfer Boden«, auf dem ich als Neunjähriger mit meinem Vater die Saat ausgebracht habe, ich auf dem kleinen, er auf dem großen Traktor. Wann immer wir uns begegneten, zog er mit großer, herrschaftlicher Geste und ernstem Gesicht grüßend seinen Hut vor mir. Seine Art von Humor. Ich habe diese Spiele geliebt, so schwer mir die körperliche Arbeit auf dem Gut fiel. Tausenderlei Erinnerungen, die ihre Heimat verlieren und ihren Ort bald nur noch in meinem Gedächtnis haben werden. Es wird mir schwerfallen, doch meine Gedanken und Gefühle behalte ich für mich, trinke genußvoll meinen starken Kaffee. Dann ist der große Augenblick gekommen.
Die Form des Päckchens kommt mir gleich bekannt vor. Mein Vater überreicht es mir mit bedeutungsvoller Geste:
»Dies hier ist das Vermächtnis deines Großvaters, meines
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