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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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wie ich es anstellen soll.
    Wieder ein Set beendet. Meine Eltern sind völlig außer Atem. »Das ist ja herrlich hier!« Keine Spur von Befangenheit.
    »Wenn ich euch so höre, dann tut mir schon leid, daß ich so früh mit dem Klavierspielen aufgehört habe«, meint mein Vater mit seiner typisch nachdenklich-fröhlichen Art. »Aber Spaß gemacht hat es mir immer.«
    Ich erinnere mich gut daran. Sein Spiel war meine erste Begegnung
mit der Musik. Irgendwo im Damenzimmer des Schlosses auf dem Fußboden sitzend habe ich mit großer Ehrfurcht und Faszination gelauscht, wenn mein Vater dem großen, schwarzen Ungetüm die sanften Töne der »Mondschein-Sonate« entlockte. Mit nichts war ich als kleines Kind leichter in den Bann zu ziehen und zu beruhigen.
    »Daß du das noch weißt!« Mein Vater sieht mich erstaunt an.
    Joe führt Patsy an unseren Tisch. Sie spielt ihre Rolle perfekt, erzählt ihm von einer Seminararbeit über Rousseau. Philosophie also. Woher sie das nur hat? Wieder einmal stelle ich fest, wie wenig ich über sie und ihr Leben weiß.
    Buddy sieht mich drängend an. Ich beschwichtige ihn mit einem Blick. Wie bringe ich meinen Eltern nur die Sache mit dem Teller bei, verflixt noch mal!?
    »Aber sag mal: Bekommst du hier eigentlich kein Trinkgeld?« will mein Vater plötzlich von mir wissen und reißt mich aus meinen Gedanken.
    »Na ja, normalerweise schon, aber …«, druckse ich herum.
    »Das könnt ihr euch doch nicht entgehen lassen! Ihr müßtet vielleicht einen Teller aufs Klavier stellen … Ja, einen Teller! Das gehört doch dazu!« Allgemeines Gelächter, als ich die Geschichte des Tellers und seines heutigen Verschwindens erzähle. Erleichterung bei Buddy und den anderen. Der Teller steht ab sofort wieder auf seinem Platz.
    Wieder am Klavier. Das Publikum an diesem Abend macht es mir leicht. Die Songs treffen ihre Stimmung. Die gleiche Wellenlänge.
    Patsy am Tisch meiner Eltern wirkt etwas nervös, sieht oft auf die Uhr und dann zur Tür, blickt mich leicht verzweifelt an, als wolle sie mir unter vier Augen etwas erklären. Ich kann jetzt das Set nicht unterbrechen.
    Kurz vor elf. Wieder ein Blick auf die Uhr. Und zur Tür. Erschrecken in ihrem Gesicht. Ein großer, distinguiert wirkender Mann hat den Laden betreten. Typ Geschäftsmann. Er sieht sie fragend an. Sie gibt ihm irgendein Zeichen. Schnell erhebt sie sich. An ihren Bewegungen erkenne ich die Hektik, mit denen sie meinen Eltern irgendetwas erklärt. Allgemeines Händeschütteln. Abweisende Geste gegenüber Joe, der sie zur Tür begleiten will. Ein
ratloser Blick zu mir, ein Wink, den ich sofort verstehe. Ich gebe ihr ein Lächeln mit auf den Weg. Mehr kann ich nicht tun.
    Ein greller Stich in mir, den ich verberge. Inneres Aufbegehren. Machtlosigkeit. Musik als meine einzige Waffe gegen die Verletzungen einer ganz und gar nicht märchenhaften Zeit. Ein zu schwacher Schutz für sie. Schnell verschwindet sie in der Menge. Daß sie das Lokal mit dem Mann verläßt, können meine Eltern nicht sehen. In der nächsten Pause erzählen sie mir, sie habe heimgehen müssen. Lernen, wie sie sagte. Ich weiß nicht, was ich fühlen und denken soll, versuche, es zu verdrängen. Wenigstens hat er gelächelt, versuche ich mich selbst zu beruhigen. Was für eine lächerliche Abwehr meiner eigenen Schuldgefühle, denke ich.
    Auch meine Eltern und mein Bruder denken an Aufbruch. Sie alle sind das Nachtleben nicht gewöhnt.
    »Morgen werden wir mehr Ruhe haben«, erklärt mein Vater, »Ruhe für ein Gespräch. Und für dein Geschenk.«
    Die Ankündigung des Gesprächs macht mich ein wenig nervös. Gespräche mit meinem Vater waren schon immer auch Prüfungen. Gütig, aber klug und unbestechlich im Urteil zwingt er einen in Unterredungen zur Auseinandersetzung mit sich selbst, ob es einem paßt oder nicht. Meine Mutter hat immer eher gepoltert, konnte für einen Augenblick lang zornig sein oder zynisch, oft sogar ungerecht, und mit ihren spitzen Bemerkungen hat sie sich sicher nicht selten auch Feinde gemacht, aber im nächsten Augenblick konnte ihr ansteckendes Lachen alle Wogen wieder glätten.
    Mein Vater hingegen blieb immer ruhig, wohlwollend, aber auch klar in seinem Standpunkt über unsere Leistungen und Verfehlungen, unwiderlegbar in der Argumentation. Er forderte stets unser Bestes. Charakterstärke, Zuverlässigkeit, Humanität waren seine Werte, und die hat er uns auch vermittelt. Eine Aussprache mit ihm konnte vieles bedeuten, Lob oder Tadel,

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