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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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bemüht sich, sich als Frauenkenner zu etablieren.
    »Du spinnst ja! Die hat doch nicht so einen Hunger wie wir. Die ist edel. Sie ißt Austern und Wachtelbrüstchen und Sorbet!«
    »›Sorbet‹! Quatsch Sorbet, davon wird doch keiner satt!« Herbert Dregger läßt nicht locker.
    »Und in welchen Film gehen wir mit ihr? Was wird denn gespielt? Schau doch mal nach, Bockelmann!«

    Johann Bockelmann bindet seine verrutschte Brille wieder fest. Der rechte Bügel ist ihm schon vor langer Zeit abgebrochen, aber er konnte sich bei Albert Sterzig einen Bindfaden organisieren. Den bindet er am Stummel des rechten Bügels fest, führt ihn um seinen Kopf herum und verknotet ihn am linken Bügel. Er ist froh, daß er seine Brille nur zum Lesen braucht.
    Das Kinoprogramm ist auch nur zum Teil erhalten.
    »Mensch, da steht, sie spielen ›Casablanca‹! Davon hab ich irgendwann schon mal gehört. Das muß ein sehr Nazi-kritischer Film sein mit tollen Schauspielern. Daß sie den jetzt in Deutschland spielen.« Johann Bockelmann ist begeistert.
    Adolf Sterzig stimmt ihm zu. »Und was wird sonst noch gespielt?«
    »Das andere kann man schwer entziffern. ›Die Mörder sind un …‹, da ist der Zettel abgerissen, und bei den Schauspielern steht ›Hildegard Kn…‹ Kann sich da einer von euch einen Reim darauf machen?« Die anderen schütteln die Köpfe. »Vielleicht ›Die Mörder sind unmenschlich‹«, mutmaßt einer. »Oder ›unehrenhaft‹«, meint ein anderer. »›Unfreundlich‹?« wirft ein dritter ein, und alle lachen.
    Danach ist es für Augenblicke totenstill. Man hört nur ihren Atem, der in der Kälte der Baracke sichtbar wird. Ihr eigenes Lachen ist ihnen unheimlich. Es ist für alle gespenstisch, dieses Lachen im Lager, das meistens etwas hysterisch aus ihnen herausbricht, fast anfallsartig, als müßte sich irgendeine Spannung Luft verschaffen und entlade sich in einem Lachen, um die Seele davor zu bewahren durchzudrehen. Seit er im Lager ist, hat Johann Bockelmann nicht mehr unbeschwert und frei gelacht. Es hat etwas Beklemmendes, dieses Lachen, aber für das Überleben ist es doch so unendlich wichtig, sich die Fähigkeit zu lachen nicht ganz rauben zu lassen, auch wenn es ein reduziertes Lachen ist, das bleibt. Johann Bockelmann fragt sich oft, ob er sein altes, freies, unbeschwertes Lachen jemals wiederfinden wird, sollte er je hier herauskommen.
    »Klingt nach einem Krimi«, schließt Herbert Dregger irgendwann die »Diskussion« über den Film ab. Und was läuft sonst noch?
    »›Tanz mit mir‹ mit Fred Astaire und Ginger Rogers. Mensch,
Fred Astaire und Ginger Rogers! Das ist noch echter Glanz. Überhaupt: Tanzen! Ich würde unsere Schöne ja zum Tanzen ausführen: erst essen, dann Kino, dann tanzen.«
    »Ja, ja, du und tanzen«, spöttelt Adolf Sterzig. »Du hast doch zwei linke Füße.«
    »Wenn ich hier raus wäre, dann würde sogar ich tanzen«, Johann Bockelmann seufzt. »Ein Freiheitstanz, das wär’s. Ich schwör’s euch, wenn ich hier herauskomme, dann finde ich eine Frau, die große Liebe meines Lebens, und dann tanzen wir beide einen Freiheitstanz, den die Welt noch nicht gesehen hat. Zwei linke Füße hin oder her…«
    Die Zellengenossen nicken wissend. Ihre Lebens- und Freiheitsträume scheinen sich zu gleichen. Die meisten von ihnen sind jung, sie haben noch so gut wie nichts erlebt. Die meisten nicht einmal eine wirklich große Liebe, auch Johann Bockelmann nicht. Liebeleien, das kennt er, aber die echte, einzigartige Liebe, die einem das Gefühl gibt, erst durch den anderen vollständig zu sein, kennt er nur aus Büchern und Filmen. Wenn er nur eine Erfahrung in seinem Leben, in Freiheit noch machen könnte, dann wäre es die Erfahrung der wahren Liebe, die aus ihrer Gruppe einzig Lars Baumann zu kennen scheint. Mit seiner Evi.
    »Wer nicht geliebt hat, der hat nicht gelebt«, hat Johann Bockelmanns Vater Heinrich oft gesagt, und der Gedanke verfolgt ihn hier, im Lager, manchmal wie ein Fluch, aber manchmal auch wie eine große Hoffnung, ein uneingelöstes Versprechen des Lebens, ohne das das Schicksal ihn nicht sterben lassen wird. Manchmal klammert er sich daran fest.
    »Jetzt dreh doch endlich mal den Ausschnitt um«, fordert Lars Baumann.
    »Ja, und lies bitte schön laut vor. Ich will auch etwas davon haben!« Thiedegans ist noch zu schwach zum Aufstehen. Er liegt auf seiner Pritsche und hört aufmerksam zu.
    »Natürlich, Thiedegans, die Zeitung ist schließlich für alle da. Und

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