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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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drängen sich hinter ihm, um auch einen Blick auf den unerwarteten Schatz zu werfen. Staunend betrachten sie das Gesicht der jungen, strahlenden Frau, das Johann Bockelmann in jener Nacht im Kasten beim Latrinenzelt ins Auge gefallen war.
    »Daß es so was überhaupt noch gibt!« Der Schneider Adolf Sterzig blickt so erstaunt, als hätte er in seinem ganzen Leben noch nie eine Frau gesehen.
    »Eine wie die im Arm und mir würde nichts mehr zu meinem Glück fehlen.« Herbert Dregger, ein einstmals stattlicher Mann,
dem man den früheren Sportler noch ansieht und der vor allem unter der miserablen Lagerverpflegung leidet, bekommt glänzende Augen.
    »Ach, spinn doch nicht rum! So eine wie die ist doch viel zu fein für dich. Die würde dich doch nicht mal mit dem Arsch anschauen.«
    »Hast du eine Ahnung, wie verrückt die Weiber nach mir sind, wenn ich nur gewaschen und ordentlich angezogen bin und etwas im Magen habe. Da werden alle schwach!«
    »Ich will eigentlich gar keine Frau wie die«, meldet sich Lars Baumann zu Wort. »Ich hab ja zu Hause meine Evi. Und meinen kleinen Fritz. Der ist jetzt fast zwei, und er kennt mich gar nicht. Ich will nur zurück zu meiner Evi und meinem Fritz, da könnt ihr lachen soviel ihr wollt.«
    »Wir lachen doch gar nicht!« Reinhold Diehl, ein unauffälliger Tischler gilt eigentlich als großer Schweiger, der sich aus allen Diskussionen heraushält. Daß er überhaupt etwas sagt, versetzt alle in Erstaunen.
    »Meint ihr, sie wartet auf mich? Ich hab jetzt seit acht Monaten nichts mehr von ihr gehört. Ich kann es ihr auch nicht verdenken, wenn sie längst einen anderen hat. Sie kann ja nicht ihre Jugend opfern und auf einen warten, der vielleicht gar nicht mehr kommt.« Lars Baumann kämpft mit den Tränen.
    »Natürlich wartet sie auf dich«, versucht der Schneider Adolf Sterzig ihn zu trösten. »Und natürlich kommst du zurück. Etwas anderes darfst du gar nicht denken!«
    Lars Baumann schüttelt resigniert den Kopf. »Nein, ich weiß es genau, ich komm hier niemals mehr raus.«
    Adolf Sterzig sieht ihn ratlos an. »Was meinst du denn damit?«
    Lars Baumann zuckt mit den Schultern: »Ach … Nur so …«
    Er versinkt in deprimierter Nachdenklichkeit.
    »Ihr redet vielleicht einen Blödsinn.« Herbert Dregger, der »Weiberheld«, schlägt mit der Hand auf den kleinen, wackeligen Tisch, den die Häftlinge sich selbst gebaut haben. »Ich will so etwas nicht hören«, meint er entschieden. »Baumann, bekomm mir bloß keinen Lagerkoller. Du bist jung, und du kommst wieder nach Hause, wie wir alle. Und jetzt Schluß damit!«
    Aus einer Ecke der Baracke ein lautes Stöhnen. Johann Bockelmann
und die anderen drehen sich um. Sepp Mittergratnegger, ein Mitgefangener aus Österreich ist schon seit Tagen in schlechter Verfassung. Adolf Sterzig geht zu ihm, tupft ihm den Schweiß von der Stirn. Er tropft ihm die letzten Reste aus seinem Becher auf die Lippen. Das Seufzen wird etwas leiser. Er versucht, etwas zu sagen, doch Adolf Sterzig versteht ihn nicht.
    »Ganz ruhig … Bleib ganz ruhig …« Adolf Sterzig bemüht sich, ihn zu beruhigen, doch da ist er schon wieder eingedämmert und röchelt leise im Fieberschlaf.
    Die anderen beugen sich weiter über den Artikel. Krankheit und Todesnähe sind hier schon so selbstverständlich geworden, daß man auch in deren bedrohlicher Gegenwart sein gewohntes Lagerleben fortsetzt, schon aus Selbstschutz. Man hat irgendwann einfach keine Kraft mehr für unbeschränktes Mitgefühl, das früher selbstverständlich schien. Es sterben einfach zu viele.
    Sepp Mittergratnegger stammt aus Eisenstadt in Österreich, ist höchstens neunzehn Jahre alt, kennt nichts als diesen Krieg und wurde vor kurzem erst bereits krank aus einem anderen Lager hierher verlegt.
    »Wird er es schaffen?« Johann Bockelmann wendet sich kurz an Adolf Sterzig, als dieser an den Tisch zurückkommt. Ein ratloses Schulterzucken ist die einzige Antwort.
    »Seht mal, hier ist ein kleiner Rest von einem Kinoprogramm!« versucht Jens Klausen, ein Unteroffizier aus Lübeck die beklemmende Stimmung aufzufangen und die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf den Zeitungsausschnitt zu richten. »Mensch, Kino! Das muß ja wunderbar sein. Mit unserer Schönen ins Kino gehen. Und vorher groß dinieren. Was wird die Dame denn essen?«
    »Die ißt ein deftiges Gulasch und einen guten Schweinsbraten und vielleicht sogar Blutwurst und ein Eisbein! Glaubt mir, ich kenne mich aus!« Herbert Dregger

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