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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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jeder darf sie ab morgen sowieso für einen Tag ganz für sich haben. Wir machen einen Plan. Immer reihum. Und weil ich sie gefunden habe, bin ich morgen als erster dran. Dann du, Thiedegans, und dann die anderen. Wer am längsten im Lager ist, kommt zuerst.« Alle stimmen zu.

    Aus der Ecke wieder ein lautes Röcheln und Stöhnen, dem eine beunruhigende Ruhe folgt.
    »Ich glaube, wir sollten die Wachen holen«, meint Lars Baumann nachdenklich. »Der muß in die Krankenstation.«
    »Die ist doch völlig überfüllt«, antwortet Herbert Dregger.
    »Trotzdem … Wir sollten es versuchen.«
    Die anderen nicken zögernd. Die Wachen zu holen kann immer auch zusätzlichen Ärger für alle Insassen der Baracke bedeuten. Aufmerksamkeit zu erregen, ist niemals gut.
    Herbert Dregger geht hinaus. »Wache«, ruft er. »Hier braucht jemand Hilfe.«
    »Job tvoju matj!« (»Fick deine Mutter!«) und andere wüste russische Flüche sind die Antwort. »Der Abschaum da drüben braucht Hilfe«, höhnt einer der Wachleute. »Die Scheiß-Deutschen sollen ruhig verrecken!« Johann Bockelmann ist froh, daß offenbar nur er das versteht. Er schluckt schwer.
    Herbert Dregger bleibt länger weg als eigentlich zu erwarten gewesen wäre.
    »Was hat denn der Dregger vor?« Adolf Sterzig ist besorgt. »Ich hoffe, der macht keinen Blödsinn und versucht, die Wachen zu bedrängen wegen dem Arzt. Das nützt doch auch nichts und bringt uns allen nur Ärger.«
    Doch Herbert Dregger hatte anderes im Sinn. Triumphierend betritt er die Baracke, in der Hand eine riesige tote Ratte, die er am Schwanz hochhält. »Die kam mir gerade recht! Auf dem Weg zur Latrine hab ich sie erwischt. Da haben wir wenigstens einen Zusatzbissen. Die gibt einen kleinen, aber feinen Braten.« Und während die anderen sich halb erfreut und halb angewidert abwenden, beginnt er, die Ratte mit geübten Fingern und einem selbstgeschnitzten Holzmesser auszunehmen und ihr die Haut abzuziehen. Nachts, wenn die Wachen Karten spielen oder schlafen, werden sie ein kleines Feuer machen und sie am Spieß braten. Es ist nicht das erste Mal. Zum Glück haben sie im Sommer nicht nur Ratten und Mäuse, die sie fangen können, sondern auch Frösche, Eidechsen, Engerlinge, Schnecken, Würmer und ähnliches Getier.
    Johann Bockelmann nimmt seine »Zeitung« zögernd wieder zur Hand. Einerseits kann er es kaum erwarten, die Rückseite des Ausschnitts anzusehen, andererseits hätte er den Schnipsel nur allzugern
allein und ungestört erforscht. Seit seiner Gefangennahme hat er kein einziges Buch, keine Zeitung mehr gelesen. Schriftstücke dieser Art sind im Lager nicht erlaubt und dürfen ihnen auch nicht von zu Hause geschickt werden. Wenigstens dürfen sie, seit sich nach Kriegsende die Wogen des Hasses ein wenig geglättet haben, überhaupt Post und auch Pakete mit Nahrungsmitteln von zu Hause empfangen, dürfen selbst Postkarten nach Hause schreiben - eine pro Monat. Aber natürlich wird alles zensiert, vieles nach Lust und Laune der Wachsoldaten einbehalten, das wertvollste aus den Paketen geklaut. Schließlich haben die Wächter hier auch nicht viel mehr als die Gefangenen. Die wenigen Briefe von zu Hause, die ihn wirklich erreichten, hat er unzählige Male gelesen. Er hat sie alle in seiner Schachtel aufbewahrt, ein kleiner Pappkarton mit seinen allerwichtigsten Besitztümern: die halbe Brille, der Bindfaden, mit der er sie festmacht, ein selbstgebasteltes stumpfes Messer, ein Knopf, den er mal irgendwo gefunden hat, ein alter, rostiger Becher aus seiner Militärzeit, und ab sofort auch der Zeitungsausschnitt.
    »Ja, jetzt dreh das Blatt doch endlich mal um, Mensch! Laß uns sehen, was da noch steht.« Herbert Dregger wird ungeduldig. Er hat seine »Arbeit« fürs erste beendet, wischt sich die Hände an seiner Hose ab und gesellt sich wieder zu ihnen.
    Gespannt wendet Johann Bockelmann das Blatt. Und zu seiner großen Freude enthält die Rückseite ausschließlich Text. Gedruckte Worte, ein Teil eines Artikels. Endlich etwas »Richtiges« zu lesen, noch dazu unzensiert! Sogar Reinhold Diehl scheint plötzlich interessiert und tritt hinzu.
    Aber bevor sie sich dem Artikel widmen können, ertönt wieder ein lautes Stöhnen und Röcheln aus Sepp Mittergratneggers Pritsche. Herbert Dregger und Johann Bockelmann beeilen sich, hinzukommen. Sein Atem geht nur noch schwach, seine Stirn ist heiß.
    »Verdammt, warum kommt denn hier kein Arzt!« Herbert Dregger flucht.
    Sepp Mittergratnegger ringt

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