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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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ich genieße es, aber die Jahre meiner Jugend, meines Kampfes um Erfolg und immer wieder auch um das nötige Geld für mein Abendessen, meine Miete, eine neue Schallplatte von einem meiner Idole oder einen neuen Bühnenanzug, auf den ich monatelang sparen mußte, haben mir eine wohltuende innere Distanz zu meinem heutigen Leben bewahrt. Es wäre nicht das gleiche, wenn ich nicht auch die andere Seite kennengelernt hätte, wenn ich heute nicht wüßte, wie sich das Leben ohne Luxus anfühlt und wie man es als Musiker bewältigen kann. Das Amerika, das ich heute erlebe, wäre für mich nicht annähernd so reich und voll Intensität, wenn ich den Klang dieses Landes nicht in einer ganz anderen Zeit meines Lebens kennengelernt hätte, wenn dieses Land für mich nicht verbunden wäre mit Jazzclubs, in denen ich mir mit meinem Klavierspiel eine Suppe oder ein Sandwich verdient habe, mit Harlem, mit dem Konzert von Count Basie, in das wir uns heimlich geschlichen haben, mit dem Teller Spaghetti und der
Cola für 75 Cent in Little Italy, mit der wahren Freundschaft zu Junius Chambers, die ich damals erlebt habe.
    Erfahrungen, die mich auf dem Boden halten und eine Gegenwart, die mich schweben läßt. Mein Leben, das immer schneller zu laufen scheint. Jahre, die vergehen, bevor ich richtig begriffen habe, daß sie begonnen haben. Erlebnisse, die oft nur noch eine lose Kette von Eindrücken bilden. Keine Zeit innezuhalten, wahrzunehmen, Augenblicke festzuhalten und mir zu eigen zu machen. Und doch immer und überall die Musik, die mich führt und meine Wege lenkt. Musik, in der ich ganz bei mir bin, mich fühle, finde und verliere, mich erkenne und verleugne, mit dem Leben spiele und die ich doch ernster nehme als irgendetwas anderes auf dieser Welt.
    Musik, die mich das Unfaßbare begreifen läßt und den Kreis zwischen gestern und heute schließt. Damals, als fünfundzwanzigjähriger Bursche, die Augenblicke vor dem Plakat von Sammy Davis jr., unfähig, mir eine Eintrittskarte für sein Konzert zu leisten, und das Glücksgefühl heute, wenn ich daran denke, daß Sammy Davis jr. seit ein paar Jahren ein Lied von mir als Schlußsong jedes seiner Konzerte spielt: »If I Never Sing Another Song«. Frank Sinatra hat das Lied in den Jahren, als er selbst aus gesundheitlichen Gründen keine Schallplatten aufgenommen und keine Konzerte gegeben hat, bei meinem amerikanischen Verleger entdeckt und es an Sammy Davis jr. weitergegeben.
    Was für ein Gefühl, als ich in den siebziger Jahren im Großen Saal des Deutschen Museums in München in einem Konzert von ihm saß. Im Trenchcoat kam er nach dem letzten Song noch einmal auf die Bühne zurück, der Pianist spielte die leise Einleitung, spielte meine Töne, und das Idol meiner Jugend wandte sich an mich im Publikum, bedankte sich für das Lied, das ihm soviel bedeute, und begann zu singen: »The audience treated him kindly, nobody shouted for more …«
    Das Orchester setzte zu den großen, melancholischen Klängen an, und Sammy Davis sang das Lied mit dem berühmten brüchigen Glanz in seiner Stimme, seinem unnachahmlichen Timing, der Intensität, die mir schon als Jugendlicher regelmäßig eine Gänsehaut beschert hat. Tränen, für die ich mich ganz und gar nicht geschämt habe. Danach ein gemeinsames Abendessen und ein merkwürdiges Gefühl von Irrealität.

    Wie hätte ich mich wohl gefühlt, wenn ich damals, als Dreiundzwanzigjähriger in Las Vegas einen kurzen Blick in diese Zukunft hätte werfen, wenn ich Sammy Davis mein Lied hätte singen hören können? Erinnerungen, die mein Heute prägen.
    Meine Füße versinken im kühlen Sand des Strandes. Der junge Musiker spielt »I’ve Got You Under My Skin«, und ich muß an Rotterdam, die kleine Bar am Hafen, den Abschied von Gitta denken, meine große Liebe jener Jahre, die Nacht im Stundenhotel und ihre Bitte, ihr einen Kieselstein vom Strand mitzubringen. Sonst nichts, nur diesen gottverdammten Kieselstein. Aber typisch für mich, ich habe ihn vergessen, überwältigt von berauschenden neuen Eindrücken, überdeckt von meiner Liebesgeschichte mit Adrianne Hall aus Pittsburgh, überlagert von all der Musik, all dem Neuen, das auf mich eingeströmt ist. Lange habe ich nicht mehr an Gitta gedacht. 21 Jahre ist es nun her, seit wir uns getrennt haben - damals, in Wien, an der Ecke Kärntnerstraße/Weihburggasse - und mit dem vergessenen Kieselstein aus Amerika fing irgendwie das Ende unserer Beziehung an. Seltsam, daß ich

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