Der Mann mit dem Fagott
ausgerechnet jetzt, hier, am Pazifik wieder an sie denken muß und an die innere Größe, mit der sie sich damals ohne Bitterkeit von mir getrennt hat, um mir nicht irgendwann wegen der Unerfüllbarkeit ihrer Wünsche an mich böse sein zu müssen. Wie es ihr wohl gehen mag? Wie sie jetzt wohl lebt?
Die Wellen haben sich beruhigt, die Wolken haben sich verzogen, die Sonne hat gesiegt, die Wellenreiter haben die Suche nach der höchsten Woge für heute beendet. Nachdenklich hebe ich einen Kieselstein auf, der in einer kleinen Bucht im sanften Geplätscher des Wassers liegt, und ich wundere mich, wie friedlich dieser größte aller Ozeane an seinen Küsten auch manchmal sein kann. Ich lasse den Kiesel zwischen meinen Fingern hin und her gleiten. Was wäre gewesen, wenn ich damals nicht diesen blöden Stein vergessen hätte? Wäre dann alles anders gekommen? Sicher nicht, aber es hätte vielleicht noch ein bißchen länger gedauert, es wäre eine Geste gewesen, die Gitta etwas bedeutet hätte.
»He, Udo, wollen wir ein Boot nehmen und ein bißchen herumfahren? Dabei können wir dann vielleicht auch ein wenig über die morgige Produktion sprechen.« Harold Faltermeyer reißt mich aus meinen Gedanken. »Du weißt, daß wir mittags Steve Lukather von ›Toto‹ für die Gitarrensoli im Studio haben werden und
abends die gesamte Bläsersection von ›Earth, Wind and Fire‹. Das wird der absolute Wahnsinn!«
Ich brauche einen Moment, um wieder in die Gegenwart zu finden.
»Ja, gern!« Ich stecke den Kieselstein gedankenverloren in die Tasche meiner Badeshorts und versuche zu verstehen, daß dieses ferne und doch so präsente Gestern und dieses beinahe unwirkliche Heute Teil eines einzigen Lebens sind.
»Fünf Minuten vor zwölf« - Wien, 6. Oktober 1981
Der frühe Herbst verleiht der Stadt eine Melancholie, die ihren leicht verfallenen Glanz früherer Jahre spiegelt und zu ihr paßt wie keine andere Jahreszeit. Die Atmosphäre dieser Stadt trägt immer einen Hauch von Untergang und Abschied, aber auch ein Aufbegehren gegen diesen Untergang in sich, wie ein großer Sommer, der im Herbst verblüht. Dieser ehemaligen Weltmetropole entspricht für mich der frühe Herbst - nicht der Frühling mit blühenden Bäumen wie im Wienerlied oder der Hochsommer mit vor Hitze dampfenden Straßen oder der Winter, der die Stadt mit eiskaltem Regen begleitet, selten mit Eis und Schnee bedeckt. Zu Wien gehören für mich die bunten Blätter des Herbstes, das Rascheln unter den Füßen auf dem Weg durch den Stadtpark, der heftig zerrende Wind, der durch den ersten Bezirk weht, einen den Mantelkragen hochschlagen und den kommenden Winter bereits erahnen läßt, aber auch die milde Herbstsonne, die die Häuser und Paläste in goldgelbes Licht taucht, als wären sie mit dem Weichzeichner gezeichnet oder mit einem milden Filter photographiert.
Am Parkring, direkt am Stadtpark, die Wohnung meines Freundes Nici Dumba. Hier steht der Blüthner-Flügel, den ich als Gage für TV-Auftritte und Konzerte aus der DDR mitgebracht habe. An diesem Klavier habe ich bereits »Griechischer Wein« geschrieben und »Aber bitte mit Sahne«, »Nur ein Lächeln« und - mein Lied
für diese Stadt - »Wien«. Dieses Instrument hat mir wirklich Glück gebracht, und das gibt mir ein Gefühl der Sicherheit und spornt mich an.
Ich kann mich nur schwer von einem meiner Klaviere trennen, wenn ich ein wichtiges Lied darauf geschrieben, wenn wir eine gemeinsame Geschichte haben. So besitze ich mittlerweile sieben Klaviere, die bei Freunden, Musikerkollegen und meiner Familie in Berlin, Kitzbühel, Zürich, Klagenfurt, am »Lamisch«, in Wien und natürlich meinem eigenen Zürcher Haus untergebracht sind und die ich von Zeit zu Zeit »besuche«.
Diesmal habe ich mich für Wien und für den Blüthner-Flügel entschieden, um hier intensiv an meiner neuen Produktion zu arbeiten, und Wien hat sich als der richtige Ort dafür erwiesen. Hier hat für mich alles angefangen, hier habe ich mit 17 meinen ersten Komponistenpreis entgegengenommen - und Johann Strauß die erste Rose dargebracht. Hier hatte ich mein erstes größeres Engagement bei Johannes Fehring im Volksgarten, hier haben die »Götter« der Musik gelebt, und die Stadt scheint immer noch ihren Geist zu atmen. Hier habe ich mit Gitta meine erste wirklich große Liebe erlebt. Nur einige Straßen weiter, in der Weihburggasse, hat sie gewohnt. Hier sind wir in scheinbar endlosen Sommern immer wieder der Wirklichkeit
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