Der Mann mit dem Fagott
begleitet hat, zu dem man mich eingeladen hatte. 300 Komponisten, darunter auch viele Berufskomponisten Österreichs, haben daran teilgenommen, und ich habe mit meinem Lied »Je t’aime« als jüngster Teilnehmer gewonnen - und schon für Tage geglaubt, nun liege mir die Welt zu Füßen. Was für ein langer Weg war danach noch zu gehen, wie viele Stolpersteine, Zweifel und Ängste lagen damals noch vor mir, und wie weit war es bis heute, bis zu diesem Konzert in der legendären Wiener Staatsoper, einer Bühne, von der ich noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte.
Ich habe schon des öfteren auf »klassischen« Bühnen gespielt, ob im Leipziger »Gewandhaus« oder im »Concertgebouw« in Amsterdam, ob im Großen Festspielhaus in Salzburg oder in der
Berliner Philharmonie, aber die Wiener Staatsoper, das ist schon etwas ganz Besonderes. Vielleicht auch, weil ich mit dieser Stadt so wichtige Jahre meines Lebens, so wichtige Erfahrungen verbinde, die Sommer, in denen ich mit dem Orchester Johannes Fehring im Volksgarten gespielt habe, die Jahre mit meiner ersten Liebe Gitta. Mehr als vierzig Jahre ist es her, seit wir uns an der Ecke Kärntnerstraße /Weihburggasse getrennt und nie mehr wiedergesehen haben. Mehr als vierzig Jahre lang haben wir nichts voneinander gehört. Doch heute werde ich ihr wieder begegnen.
Ich taste nach dem Stein in meiner Tasche, dem Kieselstein vom Strand in Amerika, den ich ihr 1957 versprochen und damals natürlich vergessen habe. Heute habe ich ihn dabei. Wie werden wohl die ersten Augenblicke sein, das erste Wort, das erste Lächeln? Wie wird sie aussehen? Werde ich sie überhaupt noch erkennen? Werden wir uns noch etwas zu sagen haben?
Mein Bruder Joe hat mir all die Jahre verschwiegen, daß er die ganze Zeit hindurch lose den Kontakt mit ihr gehalten hat. Sie hatte ihn darum gebeten, es mir nicht zu sagen, sie wolle im Hintergrund bleiben. Erst jetzt, nach mehr als vierzig Jahren, hat sie sich dazu entschlossen, sich einem Wiedersehen zu öffnen. Sie war in meinem Staatsopernkonzert. Joe hat mir davon erzählt, auch davon, wie sehr sie mitgefiebert hat. Und er hat ein Treffen organisiert: heute abend im »Schweizerhaus«, seit Jahrzehnten unser Stamm-biergarten im Wiener Prater. Der Kieselstein vom Strand in Amerika ist in meiner Tasche. Vielleicht werde ich ihn ihr heute abend überreichen, wenn die Situation es zuläßt. Wahrscheinlich ist es aber auch einfach lächerlich. Sicher hat sie den Stein und ihren Wunsch von damals sowieso schon längst vergessen.
Der riesige Garten des »Schweizerhauses« ist gefüllt bis auf den letzten Platz. Im Schatten der Kastanien- und Nußbäume genießen die Menschen die milde Luft des späten Nachmittags, unterhalten sich, heben ihre Gläser, lachen. Ich mache mich auf zu unserem »Stammtisch« unter dem großen Nußbaum, halte noch einmal inne, atme noch einmal durch, frage mich, ob es noch etwas Verbindendes zwischen uns gibt oder ob die Zeit sich zwischen uns gestellt und eine Kluft aufgerissen haben könnte, die durch Worte nicht mehr zu überbrücken ist.
Vielleicht war es eine ganz schlechte Idee herzukommen, vielleicht
sollte man die Vergangenheit und das eigene Bild, das man sich von ihr gemacht hat, ruhen lassen. Was, wenn Gitta gar nicht mehr der Mensch ist, den ich in Erinnerung habe? Was, wenn dort eine verbitterte, alte Frau sitzt, die mit Gitta gar nichts mehr zu tun hat? Vielleicht sollte ich erst ganz vorsichtig um die Ecke schielen, und wenn dort bei Joe und Christa eine mir fremde Frau sitzt, umkehren, Joe anrufen und mich unter irgendeinem Vorwand entschuldigen? Aber das wäre feige. Nein, es gibt nur einen Weg: den nach vorn. Was immer der Abend mir bringt, ich werde das Beste daraus machen, und Joe ist ja auch noch da.
Ich atme tief durch, dann biege ich um die Ecke und sehe Joe, seine Frau Christa - und dann, zunächst noch von Joe fast verdeckt, - Gitta. Und sie sieht fast genauso aus wie früher. Natürlich ist sie älter geworden, aber ich erkenne sofort die junge Frau von damals in ihr. Die gleichen großen, ausdrucksvollen Augen, die gleichen kupferroten Haare, die gleiche Frisur, der gleiche kluge, wache Blick, das gleiche Lächeln. Ein kurzer schüchterner Moment, dann kommt sie auf mich zu und umarmt mich wie selbstverständlich und beinahe wie damals.
»Schön, dich wiederzusehen!« Ein etwas hilfloser erster Satz. Sie spricht ihn leise, hält mich lange fest, und es schmelzen all die Jahrzehnte zu einem
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