Der Mann mit dem Fagott
wahrhaben können - oder wollen.
Das Flugzeug sackt leicht ab, gleitet dann wieder völlig ruhig durch die zu Ende gehende Nacht. Vor uns am Horizont schon der erwachende Tag, der ein weiches, silbernschimmerndes Licht auf Corinnas Gesicht wirft.
Wohin auch immer unser Weg uns führen wird, wir werden ihn gemeinsam gehen. In Liebe, in Freundschaft, in Nähe, die nicht einengt, und in Eigenständigkeit, die nicht allein läßt, das wurde mir irgendwann klar. Es schien mir immer eine Illusion zu sein, doch in diesen Tagen glaube ich daran, daß sie auch für mich lebbar ist.
Und diesen Weg gehen wir nur für uns, ohne Öffentlichkeit, ohne Kommentare, vorläufig einmal ohne lauernde Journalisten, die jeden unserer Schritte kommentieren, bevor wir selbst unsere Richtung gefunden haben, darüber waren wir uns einig. Diese Tage, dieser neue Lebensweg, an den ich mich selbst erst behutsam herantasten muß, ist mir einfach zu wichtig, um ihn als Einsatz im »Spiel des Prominentseins« zu setzen.
Daher New York, daher heimlich - und daher am 4. Juli, dem »Independence Day«, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag.
Um so größer unsere Überraschung, als wir in den Gängen der New Yorker Behörden, bei denen wir die Trauung beantragen
mußten, zahlreiche deutsche Touristen sahen, die wohl ebenso wie wir in New York heiraten wollten. Um nicht erkannt zu werden, setzte ich mir eine Baseballmütze auf, versteckte mich hinter einer Säule, mein Freund Bernhard Lackner erledigte als »Bräutigamdouble« das Ausfüllen der Formulare für mich. Ich trat erst hervor, als es darum ging zu unterschreiben, streckte meinen Arm zwischen Corinna und Bernhard durch, der mich ansonsten verdeckte, setzte meinen Schriftzug unter die Papiere, schlenderte wieder unauffällig hinter meine Säule. Es muß ein bizarres Bild gewesen sein. Die Beamtin hat nichts bemerkt, sie hat während der ganzen Prozedur nicht ein einziges Mal aufgeschaut.
Letztendlich ging alles gut, die deutschen Pärchen haben mich nicht erkannt, die intime Trauung im Hotel war genau so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir haben den Ernst der Stunde gespürt, uns umarmt und geschworen, füreinander einzustehen, getanzt, viel gelacht, waren uns nah, und um Mitternacht gab es zum »Independence Day« das wahrscheinlich schönste und größte Feuerwerk der Welt, das wir von der Terrasse aus beobachtet haben und das natürlich »nur für uns« den Himmel über der New Yorker Skyline in bunten Farben erstrahlen ließ.
Daß unsere Familien nicht dabeisein konnten, war ein Wermutstropfen, den wir hinnehmen mußten. Sechs Monate, vielleicht ein Jahr werden wir schweigen, dann werden wir es meinen Kindern, meiner Familie, unseren engen Freunden sagen und anschließend öffentlich bekanntgeben. Dann wird es sicher keine Sensation mehr sein.
New York, das war für mich schon immer ein gutes Omen. Ich muß an meine erste Reise hierher denken, damals, als ich dreiundzwanzig war und die ganze ungewisse Zukunft vor mir lag. An Patsy, die irgendwo in Amerika lebt, an Adrianne Hall aus Pittsburgh, an Junius Chambers in Harlem. Ob er wohl sein Studium abgeschlossen, seine Karriere gemacht hat? Und an Gittas Kieselstein vom Strand, den ich damals mitzubringen vergaß und den ich viele Jahre später aus einer spontanen Stimmung heraus mitnahm. Seither liegt er in meiner Zürcher Schreibtischschublade - wie eine ewige Mahnung, aufmerksam zu sein und die kleinen Gesten des Lebens im Trubel des großen Stroms nicht zu vergessen. Wie mag es ihr wohl gehen?
Vierzig Jahre ist es nun her, seit wir uns an der Ecke Kärntnerstraße /Weihburggasse getrennt haben und ich zu ahnen begann, daß mein Leben so, wie ich es lebe, auch Leid zufügt. Und daß Liebe verletzbar ist und an meiner allzu wirren Freiheitssuche scheitern kann.
Nun bin ich also wieder verheiratet und begreife es noch kaum. Ich muß an meine Eltern denken, die in einer ganz anderen Zeit eine jahrzehntelange Ehe geführt haben und sich am Ende näher schienen denn je. Was hätten sie wohl gesagt, gedacht, gefühlt, wenn sie diese letzten Tage in New York miterlebt hätten? Corinna hat meine Eltern noch kennengelernt, und sie hatten sie wegen ihrer immer fröhlichen, positiven Art ins Herz geschlossen. Manchmal schien es mir, als hätte meine Mutter sich in Corinna ein wenig wiedererkannt. Sicher hofften sie, daß Corinna meinem Leben endlich so etwas wie Stabilität verleihen und mich zur Ruhe kommen lassen würde.
Langsam
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