Der Mann mit dem Fagott
nächtlicher Fahrt durch die Stadt. Romantik, die ein Leben lang verbinden soll. Was wird die Zukunft diesen jungen Menschen bringen, die da eng umschlungen durch das nächtliche Wien fahren und wahrscheinlich noch glauben, es genügt, wenn man sich liebt, und der Zauber des Augenblicks reicht aus, um das gemeinsame Leben zu bestehen. Sie wissen es nicht, und das ist gut so.
Lächelnd schlendere ich Richtung Stadtpark und bin unendlich froh darüber, daß man die Wege und Irrwege des Lebens nicht planen kann.
»Hier ein Lächeln und dort Narben, ein paar Tränen mittendrin« - Kärnten, Mitte August 2003
Mein Wagen gleitet ruhig und gleichmäßig dahin.
»Wer sieht den See zuerst?« haben wir, als ich Kind war, immer, wenn wir von weither zurückkamen, mit meinem Vater gespielt, später haben meine Kinder genauso begeistert nach dem ersten Schimmern des Wassers gesucht, und selbst heute noch warte ich jedesmal gespannt auf den Moment und mache ihn zu etwas ganz Besonderem.
Ich fahre die Seeuferstraße zwischen Pörtschach und Klagenfurt entlang. Seit ein paar Minuten liegt der Wörthersee glitzernd und funkelnd neben mir. Die Reflexionen der Sonne auf dem leicht aufgewühlten Wasser malen bizarre Lichtmuster an der Oberfläche. Geheimnisvoll tanzende Punkte, wohin man blickt. Dahinter die langgezogenen Bergketten der Karawanken, die seit meiner Kindheit den Blick nach Süden begrenzen wie Schattenrisse verschiedener Blautöne gegen den strahlenden Himmel. Der unveränderliche Blick meiner Kindheit, den ich bis heute mit Heimat verbinde. Vertrautheit mit der Veränderung der Farben im Lauf der Sonne: Tagsüber, im hellen Licht des Mittags, scheint das Panorama der Karawanken grau bis grün. Gegen Nachmittag und Abend verwandelt sich die Silhouette langsam in ein Spektrum aus blauen Schatten, unten dunkler, oben immer heller werdend, die Waldstriche fast schwarzblau. Eindrücke, die auch meinen Bruder Manfred geprägt haben und immer wieder Thema seiner Bilder sind.
Mit diesem See, diesem Anblick verbindet sich meine allererste bewußte Erinnerung: eine Motorbootfahrt mit meinem älteren Bruder Joe und meinem Großvater Heinrich hier auf dem Wörthersee, als ich wohl an die vier Jahre alt war. Ich durfte für Minuten das Steuer halten. Der Duft des Sees in meiner Nase, die Freiheit, mit dem Boot über das Wasser zu gleiten. Nicht einmal das Quengeln meines Bruders. »Jetzt darf ich aber wieder fahren, bitte, Opa«, das
er mit einem kleinen, unauffälligen Rippenstupser gegen mich unterstrich, hat mein Glücksgefühl damals gestört. Ich habe immer noch die klangvolle Stimme meines Großvaters im Ohr, der uns von seinem Vater, dem Kapitän erzählte, der seinen Dampfsegler »Henriette« von Bremen nach New York und zurück steuerte. Mein Urgroßvater, ein Kapitän! Genau das wollte ich später auch werden, das stand für mich seit jenem Nachmittag erst einmal fest, und die Erinnerung an dieses Gefühl, an jenen Tag ist für mich bis heute geblieben, genauso wie meine Liebe zum Wasser und zu allem, was sich darauf bewegt. Mein eigenes Motorboot schenkt mir immer wieder kleine Fluchten aus meinem fordernden Leben. Momente des Alleinseins, der Unerreichbarkeit, Augenblicke der puren Gegenwart, des Krafttankens und Nachdenkens. In den nächsten Tagen werde ich mir davon so viele Stunden wie nur irgend möglich gönnen.
An den Wörthersee, nach Kärnten zu kommen, das ist für mich immer noch ein Nachhausekommen, obwohl mein Zuhause, mein Lebensmittelpunkt ja seit vielen Jahren in Zürich liegt. Aber Kärnten, das war meine erste Heimat, meine ersten Erinnerungen, der Ort, an dem ich meine Kindheit verbracht habe, und das werde ich immer am allermeisten mit »Zuhausesein« verbinden. Vielleicht auch, weil dieses Zuhause ein unbequemes war, eine schwierige Zeit, die erste Welt, in der ich bestehen mußte. Die Orte, die ich mir danach zum Leben ausgesucht habe, haben mir viel weniger Widerstände entgegengesetzt. Aber hier Kind zu sein, schwächlich, kränklich in einer Welt zu sein, in der man von einem Jungen Stärke erwartete, noch dazu während des Krieges, das war schon eine ganz besondere Herausforderung. In dieser Welt, dieser Zeit, auf dem Land zu leben, zu spüren, daß man ganz andere Interessen und Fähigkeiten hat als die anderen gleichaltrigen Jungen, daß man mit all dem, was sie auszeichnet, überfordert ist und wahrscheinlich in einem normalen Leben gar keinen Platz findet. In dieser Zeit, dieser Welt
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