Der Mann mit dem Fagott
gesagt, daß du etwas anderes von mir erwartest als irgendwelche Lieder aufzunehmen, die die Produzenten mir aufzwingen. Das hat Eindruck auf mich gemacht, und mir war von diesem Tag an klar, daß ich etwas verändern muß.«
Inzwischen sind wir am Stephansplatz angekommen. Hier herrscht selbst im Hochsommer meistens ein heftiger Wind, der an uns zerrt. Einige Fiaker stehen noch bereit und warten auf Kundschaft. Pferde schnauben. Ein Eisverkäufer hat regen Zulauf. Die Straßencafés sind jetzt gut besucht. Die Theater- und Kinovorstellungen sind wohl zu Ende, die Menschen kehren auf dem Heimweg noch auf einen kühlen Drink irgendwo ein. Leise Musik aus der offenen Tür eines Cafés. Wir entschließen uns, einen kleinen Schlenker über die »Broadway Bar« zu machen, dem aktuellen Musiker- und Künstlertreffpunkt in Wien.
Heute ist es ruhig. Die Musiker, die sich hier treffen, kommen meistens erst irgendwann nach Mitternacht. Auch ich habe hier schon herrliche Musiknächte mit klassischen Musikern, die hier
einfach aus Spaß musizieren oder gerade vor ein paar Tagen mit Popgrößen wie Billy Joel erlebt, mit dem ich vierhändig gespielt und ein halbstündiges, spontanes »Minikonzert« gegeben habe.
Wir nehmen einen Tisch in der Ecke. Béla, der Besitzer, ein ungarischer Pianist, zündet uns eine Kerze an.
»Daß wir jetzt, nach 43 Jahren, gemeinsam hier sitzen, das kommt mir immer noch beinahe unwirklich vor«, meint Gitta leise. Und nach einer Pause, in der sie nachdenklich in die zuckende Flamme der Kerze auf unserem Tisch sieht, fügt sie lächelnd hinzu: »Weißt du eigentlich, wann ich wußte, daß es im Grunde vorbei ist, daß wir keine Zukunft haben?«
Ich schüttle den Kopf, sehe sie fragend an. »Nein.«
Sie schaut mich direkt an. »Das wird dir vielleicht merkwürdig vorkommen, aber für mich war das klar, als du den Kieselstein aus Amerika vergessen hast.« Sie lacht. »Es war so eine Kleinigkeit und eigentlich so unwichtig, aber daran habe ich doch gemerkt, daß du dich ganz langsam von mir entfernst.«
Sie legt gedankenverloren die Hände um ihr Glas.
Ich nicke, greife in die Tasche, spüre den Stein, bin immer noch ein wenig unsicher, ob ich mich vielleicht lächerlich mache, beschließe dann, daß es keine Rolle spielt.
»Damals habe ich es vergessen, aber ich hoffe, daß du dies hier trotz der kleinen Verspätung von 43 Jahren noch annimmst« - und lege ihr lachend den Stein so beiläufig wie möglich auf den Tisch.
Fassungslos sieht sie mich an. »Das ist jetzt aber nicht wahr, oder? Wo hast du denn jetzt plötzlich diesen Stein her?«
»Den hab ich vor beinahe zwanzig Jahren vom Strand in Kalifornien mitgebracht und seither in meinem Schreibtisch gehabt. Und heute kann ich ihn dir endlich geben.«
Stumm legt sie den Stein auf ihre Hand, betrachtet ihn mit nachdenklichem Blick im Kerzenschein, streicht mit dem Finger darüber und meint dann leise lächelnd. »Du hast keine Ahnung, was mir das heute bedeutet - davon, was es mir damals bedeutet hätte, wollen wir gar nicht reden. Danke.« Und umschließt ihn fest mit ihrer Hand.
Es ist sternklare Nacht, als wir die Ecke Kärntnerstraße/Weihburggasse erreichen. »Ja, ich wohne immer noch hier.«
Damals haben wir uns hier, an dieser Ecke, getrennt. Sie war eine junge Frau von 28 Jahren, ich ein Bursche mit 25.
»Wenn unsere Wege sich wieder einmal treffen, dann werden wir uns nichts vorzuwerfen haben«, hat sie damals gesagt.
Heute gehen wir gemeinsam das kurze Stück Weges, das sie damals allein gegangen ist. Oben in der Wohnung, steht sicher noch der Bösendorfer Flügel, auf dem ich damals »Jenny« komponiert habe, denke ich mir. Erinnerungen.
Wir umarmen uns an der Haustür. Sie gibt mir die Rose zurück, die ich ihr vorhin geschenkt habe. »Bring die doch Johann Strauß, so wie damals, das ist die richtige Nacht dafür. Und ich hab ja jetzt den Stein!«
Diesmal wird es keine 43 Jahre dauern, bis wir uns wiedersehen, versprechen wir uns, dann schließt sich die Tür hinter ihr, und ich stehe allein in der menschenleeren Weihburggasse. Beinahe wie damals und doch ganz anders. Gelebtes Leben.
Gitta hat recht, ich werde jetzt in den Stadtpark gehen und Johann Strauß eine Rose zum Dank bringen - zum Dank für mein Konzert in der Staatsoper und für all das, was mein Musikerleben mir geschenkt hat.
Hufgetrappel hallt von den Häuserwänden der engen Gasse wider, als ich mich auf den Weg mache. Ein jungverliebtes Pärchen auf
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