Der Mann mit dem Fagott
Nichts zusammen.
Stunden vergehen wie Augenblicke. Erinnerungen schlagen Brücken zwischen den Zeiten. Gestern und Heute verschmelzen zu einer beinahe surrealen Gleichzeitigkeit. Die späte Dunkelheit des Sommers hat sich über die Stadt gesenkt. In den engen Gassen des Zentrums staut sich die Hitze des Tages, in Betonwänden gefangen. Mein Bruder Joe und seine Frau Christa sind längst nach Hause gegangen. Gitta und ich haben uns zum Luegerplatz am Stadtpark bringen lassen. Wir möchten noch ein paar Schritte gehen, den Weg von »damals«.
Im Café Prückl sitzen wenige Menschen an den Tischen auf der Straße. Einzelne Nachtschwärmer flanieren an uns vorbei. Ansonsten ist alles ruhig. Die Wollzeile ist menschenleer, ein einzelner Wagen nähert sich uns und zieht langsam an uns vorbei. Dann wird es wieder still. Die Gitter und Rolläden vor den Geschäften sind geschlossen. Ein Blumenverkäufer eilt mit einem Arm voller Rosen an uns vorbei auf dem Weg in die Bars und Lokale der Innenstadt.
Ich halte ihn auf, kaufe ihm eine Rose ab genau wie damals.
»Warum hast du eigentlich nie geheiratet?« frage ich Gitta ruhig.
Sie sieht mich überrascht an. »Weil es sich nicht ergeben hat. Und ich bin froh darüber, daß heute alles genau so ist, wie es ist! Ich genieße mein Leben. Ich habe viel gearbeitet, Theater, Fernsehen, auch manchmal im Film. Ein Star bin ich nie geworden, und das wollte ich auch nie sein, aber ich habe schöne Rollen gespielt, bin finanziell gut versorgt, und ich hatte und habe einen wunderbaren Freundeskreis, reise gern. Ich genieße jeden einzelnen Tag. Es ist alles so, wie es sein soll! Wirklich! Das Leben ist einfach herrlich!« Sie sieht mich offen an, und ihre Augen sind voll Energie und Lebensfreude.
»Dann hast du es also nicht bereut?«
Sie lacht kurz auf, dann wird sie wieder ernst, sieht mich eindringlich an. »Was soll ich denn bereut haben?« Sie hält inne, dann meint sie ruhig: »Die vier Jahre, die wir miteinander hatten, waren die schönsten und vielleicht wichtigsten Jahre meines Lebens. Was wir uns in dieser Zeit gegeben haben, kann mir niemand mehr nehmen, diese Liebe und alles, was ich dabei erlebt habe, bleibt doch, auch wenn es zur Vergangenheit gehört.« Sie sieht mich nachdenklich an. »Aber natürlich bereue ich auch nicht, daß wir uns getrennt haben. Es hat weh getan, natürlich, aber es war richtig so.« Sie spricht den letzten Satz mit Nachdruck, spielt nachdenklich mit der Rose in ihrer Hand. »Glaubst du, wir würden heute so friedlich und liebevoll nebeneinander durch die Stadt laufen, wenn wir geheiratet hätten?« Sie macht eine kurze Pause, sieht mich herausfordernd an, dann lacht sie und gibt die Antwort selbst, bevor ich etwas sagen kann. »Sicher nicht! Wahrscheinlich wären wir längst geschieden, hätten die schöne Zeit zerstört, die wir uns durch unsere Trennung bewahrt haben, auch wenn das paradox klingt.« Sie streicht sich eine Strähne aus der Stirn.
Ich nicke. »Wahrscheinlich hast du recht …«
Energisch fährt sie fort: » Natürlich hab ich recht! Das ist eben gelebtes Leben. Wir haben alles ausgekostet, bis es eben vorbei war.« Sie unterbricht sich, läßt einen Radfahrer vorbei, der sich wild klingelnd auf dem Gehweg Vorfahrt verschafft. »Nein, ich bereue nichts, gar nichts! Du etwa?«
Herausfordernd sieht sie mich an.
»Natürlich nicht, aber manchmal mache ich mir schon Gedanken über die Menschen, die ich bei meinem turbulenten Leben zurückgelassen habe«, erwidere ich nachdenklich. »Und ich muß mir wahrscheinlich schon die Frage gefallen lassen, warum ich eigentlich nie in der Lage war, der Liebe alles andere unterzuordnen.«
Sie lacht. »Weil du dann keine Karriere gemacht hättest! Das ist doch ganz einfach. Ich jedenfalls sehe mich dabei ganz und gar nicht als Opfer.«
Überrascht von soviel Offenheit sehe ich sie an. »Es freut mich natürlich, daß du das so siehst.«
Sie hakt sich wie selbstverständlich bei mir unter. »Und du ahnst nicht, wie sehr ich mich über deine Karriere gefreut habe. Als du bei der Eurovision warst, hab ich mitgefiebert, und von da an war alles, was du getan hast, ja ein öffentliches Thema. Du warst also immer irgendwie in ›meinem Leben‹. Und ich war so froh, zu merken, daß du wirklich deinen ganz eigenen Weg gefunden hast. Da war ich beinahe stolz.«
Sie lacht.
Ich zünde mir eine Zigarette an. »Daran warst du auch nicht ganz unbeteiligt. Du hast mir ja damals in Rotterdam ganz klar
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