Der Mann mit dem goldenen Colt
sollte. Wahrscheinlich war dieser Mann der erfolgreichste Mörder der Welt. James Bond hatte ihn vor sich. Er hatte Auftrag, ihn zu erledigen. Er mußte ihn erledigen - ob er nun verwundet dalag oder nicht. Bond zwang sich zur Gleichgültigkeit, bemühte sich, ebenso kalt zu sein wie sein Gegner. »Irgendwelche Botschaften an jemanden, Scaramanga? Aufträge? Soll man sich um jemanden kümmern? Ich werd es persönlich übernehmen. Ich behalt es für mich.«
Scaramangas Lachen war heiser, aber vorsichtig. Diesmal wurde kein roter Husten daraus. »Ganz der kleine englische Gentleman! Wie ich gesagt habe. Ich nehme nicht an, du würdest mir deinen Revolver geben und mich fünf Minuten lang allein lassen, wie es in den Büchern steht? Nun, Jungchen, hast recht. Ich
würde dir nachkriechen und dir den Hinterkopf wegschießen.«
Bond sah ihn sich genau an. Wie konnte Scaramanga ruhig bleiben, wenn er in wenigen Minuten sterben sollte? Hatte der Mann noch einen letzten Trick in Bereitschaft? Eine verborgene Waffe? Aber er lag einfach da, offensichtlich entspannt, gegen die Mangrovewurzeln gelehnt; seine Brust bewegte sich rhythmisch, sein steinernes Gesicht verfiel auch in der Niederlage nicht um eine Spur. Auf seiner Stirn war nicht soviel Schweiß wie auf der Bonds. Scaramanga lag im dunkelfleckigen Schatten. James Bond stand seit zehn Minuten mitten auf der Lichtung in der brennenden Sonne.
Plötzlich fühlte er, wie die Kraft ihn verließ. Und mit ihr schwand sein Vorsatz. Er sagte und er hörte, wie rauh seine Stimme klang: »Na schön, Scaramanga, es ist soweit.« Er hob seinen Revolver und packte ihn mit dem zweihändigen Griff des Zielschützen. »Ich werd es so schnell wie möglich erledigen.« Scaramanga hob eine Hand. Zum erstenmal zeigte sein Gesicht Bewegung.
»Okay denn.« Erstaunlich; die Stimme klang bittend: »Ich bin Katholik, verstehst du. Laß mich nur mein letztes Gebet sagen. Ja? Dauert nicht lange, dann kannst du losballern. Jeder muß einmal sterben. Bist ja ein ganz feiner Kerl. Spielerglück. Wäre meine Kugel zwei, drei Zentimeter weiter rechts gegangen, hätte es dich an meiner Stelle erwischt. Stimmt’s? Kann ich mein Gebet sagen, Mister?«
Bond senkte den Revolver. Er würde dem Mann ein paar Minuten lassen. Mehr konnte er ihm nicht geben, das wußte er. Schmerzen, Hitze, Hunger, Durst. Es würde nicht lange dauern, bis er sich selbst hier auf den harten gesprungenen Schlamm legen mußte, nur um auszuruhen. Wenn ihn einer hätte umbringen wollen, Bond hätte sich nicht gewehrt. Langsam, müde sagte er: »Vorwärts, Scaramanga. Nur eine Minute.«
»Danke, Kamerad.« Scaramanga legte die Hände auf die Augen. Leise leierte er lateinische Gebete herunter.
Bond stand da in der Sonne, den Revolver gesenkt, Scaramanga beobachtend, aber gleichzeitig beobachtete er ihn nicht, denn die Schärfe seines Blicks war getrübt durch den Schmerz, die Hitze, die hypnotisierende Litanei, und durch den Schauder davor, was er selbst in einer, vielleicht zwei Minuten zu tun hatte.
Die Finger von Scaramangas rechter Hand krochen unmerklich seitlich über sein Gesicht, Zentimeter um Zentimeter. Das Geleier des lateinischen Gebetes war immer noch gleich langsam und einschläfernd.
Und dann schoß die Hand hinter den Kopf, der winzige goldene Derringer krachte, und Bond riß es um die eigene Achse, als habe er eine Rechte ans Kinn bekommen. Er stürzte zu Boden. Sofort war Scaramanga auf den Beinen. Er bewegte sich schnell wie eine Katze, ergriff das weggeworfene Messer und hielt es vor sich.
Aber James Bond wand sich wie ein sterbendes Tier auf dem Boden, und das Schießeisen in seiner Hand krachte bösartig wieder und wieder - fünfmal, dann fiel es ihm aus den Fingern auf die schwarze Erde, während seine Hand an die rechte Seite des Bauches fuhr und dort blieb, den schrecklichen Schmerz niederdrückend.
Der große Mann stand einen Augenblick da und sah in den tiefblauen Himmel hinauf. Seine Finger öffneten sich krampfartig und ließen das Messer los. Sein durchbohrtes Herz stotterte, blieb stehen. Er stürzte vornüber zu Boden und blieb mit weit geöffneten Armen liegen.
Nach einer Weile krochen die Landkrabben aus ihren Löchern und begannen an den Schlangenstücken zu riechen. Die größere Beute konnte bis zur Nacht warten.
16
Der überaus elegante Polizeibeamte von der Eisenbahn-Rettungstruppe kam mit dem üblichen würdevollen Schritt eines jamaikanischen Konstablers auf Rundgang das Flußufer
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