Der Mann mit den hundert Namen
derselben Nacht verschwand, in der Bailey und Doyle starben. Sind Sie noch immer der Meinung, daß mein Chefredakteur von der Story enttäuscht sein wird?«
Buchanan zuckte zusammen, als sei er tatsächlich unten angekommen und dabei hart aufgeschlagen.
»Ich warte. Was halten Sie jetzt von meinem Bericht?«
»Die eigentliche Frage ist: Was fühle ich?« antwortete er.
»Ich verstehe nicht.«
»Daß Ehrgeiz die Menschen so dumm macht! Die Antwort lautet: Ich habe Angst. Und die sollten Sie auch haben. Ich bin ein Wahrsager, haben Sie das gewußt? Ich habe tatsächlich die Fähigkeit, die Zukunft vorauszusagen. Und nach dem, was ich eben von Ihnen gehört habe, garantiere ich Ihnen: Heute in vier Wochen sind Sie tot, wenn Sie nicht die Finger von Ihrer Story lassen.«
Holly traute ihren Ohren nicht.
»Und wenn ich nicht die Rolle meines Lebens spiele, blüht mir dasselbe.« Seine Stimme klang rauh. »Dafür werden die Leute sorgen, die Jack Doyle und Bob Bailey auf dem Gewissen haben. Drücke ich mich verständlich aus? Wollten Sie das hören?«
»Mir ist es egal, ob Sie es weiterhin abstreiten oder nicht …«
»Hören Sie doch richtig zu!« Er sprach so laut, daß einige Leute in der Nähe aufmerksam wurden.
Er rückte näher, seine Stimme war ein heiseres Flüstern. »In Ihrer Welt fürchtet man, beim Verstoß gegen das Gesetz erwischt zu werden. In meiner Welt gelten andere Gesetze. Wenn man sich bedroht fühlt, erschießt man den anderen oder stürzt ihn auf die Straße oder überfährt ihn – und dann speist man gut und fühlt sich im Recht, weil man sich ja nur verteidigt hat. Morgen um diese Zeit sind Sie ganz bestimmt und unwiderruflich tot, wenn wir meine Leute bis dahin nicht überzeugen können, daß Sie keine Bedrohung darstellen. Da sogar ich Schiß habe, sind Sie bekloppt, wenn es Ihnen nicht ebenso geht.«
»Sie ziehen wieder eine Schau ab. Sie wollen mich bloß durch Tricks dazu bringen auszusteigen.«
»Ich geb’s auf«, stöhnte er.
11
Buchanan betrat die Empfangshalle des Crowne Plaza Hotels. Während er auf den Fahrstuhl wartete, merkte er, daß der Mann im blauen Blazer durch einen anderen im Jogginganzug ersetzt worden war. Auch er tat so, als läse er eine Zeitung und war in allem eine Kopie des ersten: nicht ganz dreißig Jahre alt, gut gebaut, kurzer Haarschnitt, stechender Blick.
Angehöriger des Militärs, dachte Buchanan, genau wie der andere. Sie warten noch auf Holly.
Er fuhr hinauf zum elften Stock und zog den Schlüssel aus der Tasche. Hollys Enthüllungen auf dem Schiff, dazu die Schmerzen in der Seite und am Kopf hatten ihn erschöpft. Er brauchte Ruhe, er mußte nachdenken.
In seinem Zimmer warteten drei Besucher auf ihn. Sie hatten sich nicht versteckt, denn sie wollten ihn nicht erschrecken und schon gar nicht zu einer defensiven Reaktion veranlassen. Es waren Alan, Major Putnam und Captain Weller, die attraktive Blondine; alle in Zivil. Captain Wellers Seidenbluse und ihr blauer Rock waren auffallend eng geschnitten. Anscheinend sollte ihr Outfit in der Öffentlichkeit von den beiden Männern ablenken.
Buchanan warf einen Blick ins Bad, entdeckte dort aber niemanden. Der Schrank stand offen – auch er war leer. Die späte Nachmittagssonne erhellte den Raum. Er zog den Schlüssel ab, verriegelte die Tür und blieb in etwa zwei Meter Entfernung von den dreien stehen.
»Sie scheinen nicht überrascht zu sein«, sagte der Major.
»Ich hatte mal einen Ausbilder, der erklärte uns immer: ›Das einzige, worauf Sie stets gefaßt sein müssen, ist das Unerwartete.‹«
»Ein guter Rat«, stimmte die Frau zu. »Wie ich höre, wurden Sie von einem Straßenräuber attackiert.«
»Auf den war ich allerdings nicht gefaßt.«
»Was macht die Verletzung?«
»Heilt. Wo ist der Colonel?«
»Er ist verhindert«, antwortete Alan. »Sind Sie nicht neugierig, wie wir hereingekommen sind?«
Buchanan schüttelte den Kopf.
»Captain.« Der Major war schlecht gelaunt. »Sie sind um dreiviertel zwei im Foyer beobachtet worden. Da wollten Sie wohl Ihr Zimmer aufsuchen, taten es aber nicht. Seitdem waren sie verschwunden. Wo sind Sie in den vergangenen drei Stunden gewesen?«
»Habe eine Dampferfahrt gemacht.«
»Haben Sie die Journalistin vorher oder nachher ausgecheckt?«
»Das wissen Sie also? Die Journalistin hat mich bei dem Ausflug begleitet.«
»Was?« Captain Weller beugte sich nach vorn, ihre Bluse spannte über der Brust. »Hat man Sie nicht informiert, daß
Weitere Kostenlose Bücher