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Der Mann mit den hundert Namen

Der Mann mit den hundert Namen

Titel: Der Mann mit den hundert Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Morrell
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die ›Natchez‹ noch.«

9
     
    Die Dampforgel dudelte »Way Down South in Dixie«, der buntgeschmückte Raddampfer löste sich vom Kai und begann seine Fahrt den Mississippi stromaufwärts. Hunderte von Passagieren drängten sich auf den drei Decks an der Reling und betrachteten den vorüberziehenden Hafen, die Lagerhäuser, eine Raffinerie und ein Herrenhaus aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg.
    Den Fahrgästen schien die pralle Sonne nichts auszumachen, Buchanans Augen waren jedoch noch so empfindlich, daß er sich im Schatten des Baldachins am Heck aufhielt. Holly setzte sich neben ihn. Da die meisten Leute an der Reling lehnten, bestand kaum Gefahr, daß ihr Gespräch belauscht wurde.
    »Ich verstehe nicht. Warum ein Dampferausflug?« Holly schüttelte den Kopf.
    Buchanan trank einen Schluck Coca-Cola, die er für Holly und sich gekauft hatte, als sie an Bord gingen. »Ich brauche Zeit und einen Ort zum Nachdenken.« Er nahm noch zwei Schmerztabletten ein, schloß die Augen und legte den Kopf zurück.
    »Sie hätten im Krankenhaus bleiben sollen.«
    »Zuviel zu tun.«
    »Ja, den schlammigen Mississippi betrachten. Es hat Ted überhaupt nicht gepaßt, daß er mit dem Gepäck zurückbleiben mußte.«
    »Sie wollten mit mir sprechen – und ich mit Ihnen, aber mit keinem Dritten. Jetzt kann er uns nicht folgen. Und bald sind wir so weit entfernt, daß es keine Verbindung mehr zwischen Ihren beiden Funksprechgeräten gibt. Übrigens, wo haben Sie Ihres versteckt? In der Handtasche oder vielleicht hier?« Buchanan deutete auf ihren Ausschnitt.
    »Okay.« Enttäuscht griff sie hinein, löste ein winziges Mikrofon und einen Miniatursender vom Büstenhalter und überreichte ihm beides. »Sie haben gewonnen.«
    »Also worüber möchten Sie mit mir sprechen?«
    »Zunächst mal die Frage: Wer wollte Sie töten? Bitte, tischen Sie mir nicht den Blödsinn über das Zufallsopfer eines Straßenräubers auf.«
    »Wer – ja, das ist die große Frage. Okay, soviel will ich Ihnen erzählen. Ich bin nach New Orleans gekommen, um mich mit einem Bekannten zu treffen – das ist keine Lüge. Nur – es ist eine Frau. Das alles ist nicht geheim, es gibt also keinen Grund, es zu verschweigen. Seit sechs Jahren habe ich nichts von ihr gehört, aber vor wenigen Tagen schrieb sie mir eine Karte und bat um Hilfe. Sie ist ganz bestimmt nicht der Typ, der so etwas tut – außer es ist etwas Ernstes.«
    »Diese Bekannte – war Sie Ihre Geliebte?«
    »Sind Sie Journalistin oder Klatschkolumnistin? Das geht Sie nichts an.«
    »Sorry.«
    Buchanan biß sich auf die Unterlippe. »Hätte meine Geliebte sein können – sein müssen. Vielleicht hätten wir sogar geheiratet.«
    »Aber …?«
    »Na, sagen wir so: mir fiel es schwer, mir darüber klar zu werden, wer ich eigentlich war. Jedenfalls sollte ich sie gestern abend im Café du Monde treffen. Sie ist nicht erschienen.
    Dafür kam der Kerl mit dem Messer.« Er lehnte sich im Liegestuhl zurück und glaubte, wieder den Druck der Waffe gegen den Rücken zu spüren. Da begriff er, daß die Pistole die Klinge abgelenkt und ihn vor einer gefährlicheren Verletzung bewahrt hatte.
    Sein Mund war trocken, er trank einen Schluck. »Ist es Zufall, daß der Kerl auftauchte und mich als Opfer auswählte, während ich auf meine Freundin wartete, die merkwürdigerweise nicht erschien? Ich bemühe mich, meine Skepsis nicht zu übertreiben, aber solch einen Zufall kann man nicht einfach akzeptieren. Ich muß davon ausgehen, daß es zwischen meiner Bekannten und dem Messerstecher eine Verbindung gibt.«
    »Und daß er versucht hat, Sie daran zu hindern, ihr wiederzubegegnen und ihr zu helfen?«
    »Haben Sie eine bessere Erklärung?« fragte Buchanan.
    »Nun, ich komme mit Ihrer Logik nicht klar. Da sie nicht gekommen ist, haben Sie nicht erfahren, was sie wollte. Folglich hätte man Sie nicht zu hindern brauchen, sie zu sehen.«
    »Vielleicht befürchtete man, daß ich durchdrehen und alles daransetzen würde, sie zu finden und nach dem Grund ihres Hilferufs zu fragen.« Seine Stimme klang schärfer. »Wenn das zutrifft, war die Befürchtung gerechtfertigt. Denn genau das werde ich tun – sie suchen.«

10
     
    Der Dampfer folgte einer Flußkrümmung.
    »Im Krankenhaus meinten Sie, Sie hätten etwas, was ich mir ansehen sollte.«
    »Ja, aber Sie haben mir ja keine Chance gegeben«, sagte Holly.
    »Weil ich zuerst mein Eigentum zurückhaben wollte. Nun habe ich es wieder.« Er mußte das Spiel weiterspielen.

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