Der Mann mit den hundert Namen
Verbrechen nicht enthüllen. Wir können beweisen, daß er den Tod des Institutsdirektors befohlen hat – lassen Sie ihn das wissen. Und daß seine politische Zukunft nach wie vor von mir abhängt.«
»Ja, Sir.«
»Wenn er Präsident ist, habe ich noch mehr Einfluß.«
»Allen Einfluß, den Sie brauchen.«
»Aber beinahe wäre aller Einfluß verloren gewesen – wegen dieser verdammten Frau. Wenn Ihre Leute sie finden …«
»Ja, Sir?«
»Sorgen Sie dafür, daß … Na, Sie wissen schon.«
Neuntes Kapitel
1
San Antonio, Texas
Buchanan traf bei Einbruch der Dunkelheit ein. Er war auf der Bundesstraße 10 gen Westen gefahren, von New Orleans nach Baton Rouge, an vielen kleinen Orten vorbei nach Texas. Die Schmerzen im Kopf und an der Seite hatten ihn gezwungen, unterwegs mehrmals eine Pause einzulegen. In Beaumont hatte er am frühen Vormittag ein Hotelzimmer genommen, um zu duschen, sich zu rasieren und ein paar Stunden zu schlafen. Der Portier wunderte sich, daß er bereits um zwölf wieder abreiste. Auf diese Weise die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, war ungeschickt, ebenso ungeschickt, wie aus Mangel an Bargeld die Kreditkarte zu benutzen. Seine Spur verlief also nicht im Sand, obwohl er längst weitergefahren war, bevor Alan und die anderen ihm bis hierher hätten folgen können. Sein Ziel kannten sie nicht, konnten es jedoch anhand der Unterlagen über seine früheren Einsätze vielleicht erraten. Da er seit der Trennung von Juana viele Aufträge gehabt hatte, dürfte es geraume Zeit dauern, bis sie auf den Zusammenhang zwischen ihr, New Orleans und San Antonio stießen. Und bis dahin war er schon ganz woanders.
Unterwegs aß er Fast food – Hamburger, Pommes frites, üppig belegte, große Sandwiches, Tacos –, die er mit Coca-Cola hinunterspülte. Dreimal hielt er auf Rastplätzen und machte ein Nickerchen. Er parkte den gemieteten Chevrolet in der Nähe der Toiletten, wo ihn das Lärmen von Reisenden und Fahrzeugen hinderte, fest einzuschlafen, denn er wußte, in diesem Fall würde er erst am nächsten Tag wieder aufwachen.
Er durfte sich nicht aufhalten, er mußte schnell nach San Antonio. Warum hatte Juana sich an ihn gewandt? Kannte sie sonst niemanden, den sie um Hilfe bitten konnte? Warum ausgerechnet er? Er fand darauf keine Antwort.
Ihm war nur eines bewußt: Mit ihm war etwas geschehen. Etwas Schreckliches. Er versuchte zu bestimmen, wann es begonnen hatte. Je mehr er über die dramatischen Ereignisse in Cancún, Merida und New Orleans nachdachte, desto sicherer war er, daß seine Angst nicht erst dort seinen Anfang genommen hatte. Es handelte sich nicht um ein physisches, sondern um ein mentales Trauma, das sein Talent bedrohte, seine Identität nach Belieben zu wechseln.
Nachdem Victor Grant zu Grabe getragen worden war, hatte Buchanan eine neue Identität erwartet, war aber von Alan enttäuscht worden. Seither blieb ihm nichts anderes übrig, als er selber zu sein.
Doch wer zum Teufel war das? Er war so lange nicht Brendan Buchanan gewesen, daß er nicht wußte, wer das eigentlich war. Oberflächlich betrachtet, wußte er nicht einmal so grundlegende Dinge, wie sich Buchanan gern kleidete oder was er gern aß. Vom Standpunkt der Psychologie betrachtet, hatte er keinerlei Kontakt mehr zu sich selber. Er war ein Schauspieler, der so in seinen Rollen aufging, daß er, als sie ihm weggenommen wurden, einem Vakuum glich.
Ohne eine Rolle war er ein Nichts, und ihm wurde bewußt, wie brutal ihn die Erkenntnis traf, für den Rest seines Lebens Brendan Buchanan sein zu müssen. Um Brendan Buchanan zu entrinnen, wollte er lieber wieder Peter Lang werden und nach dem wichtigsten Menschen in dessen Leben suchen. Oder wahrscheinlich in seinem eigenen Leben, denn je länger er grübelte, desto deutlicher wurde ihm bewußt, welch positive Wende sein Dasein wohl genommen hätte, wäre er vor sechs Jahren mit Juana zusammengeblieben.
2
An einer Raststätte für Fernlastfahrer hinter Houston rief er aus einer Telefonzelle an. Der einzige Mensch in Buchanans Welt, den er mochte, war Holly McCoy – und das empfand er als ebenso faszinierend wie beunruhigend. Er kannte sie erst seit wenigen Tagen, und sie stellte eine Bedrohung für ihn dar. Und doch stand er unter dem Zwang, sie ebenso beschützen zu müssen wie Juana aus seinem Leben als Peter Lang. Er hoffte, seine Vorgesetzten davon überzeugt zu haben, daß Holly ihre Story nicht weiterverfolgen wollte, und er mußte sie in
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