Der Mann mit den hundert Namen
Nummernschild des blauen Chevrolet zu erkennen war, der zwei Blocks entfernt stand. Sie besaß darüber hinaus modernste Nachtaufnahmetechnik, weshalb Duncan deutlich das grünschimmernde Bild eines Mannes sehen konnte, der aus dem Wagen stieg.
»Zweiter November«, sprach Duncan auf einen Kassettenrecorder, »einundzwanzig Uhr dreißig. Eben ist ein bisher unbekannter Mann eingetroffen.« Duncan beschrieb Fahrer und Auto bis hin zum Nummernschild aus Louisiana.
Er schaltete den Kassettenrecorder ab, drehte das Empfangsgerät lauter und rückte die Kopfhörer zurecht. Der Empfänger war mit zahlreichen Minitransmittern verkabelt, die Duncan in die Telefone und Lichtschalter überall im Hause Mendez eingebaut hatte. Die Wanzen waren an das Lichtnetz des Hauses angeschlossen.
An dem Tag, an dem Duncan den Auftrag erhalten hatte, wartete er, bis die zu Überwachenden die Wohnung verließen. Sein Komplize verfolgte die beiden bis zu einem Einkaufszentrum. Für den Fall, daß sie eher als erwartet zurückkehrten, konnte er per Mobiltelefon auf Duncans Piepser ein Warnsignal auslösen. Duncan, der durch die Verandatür ins Haus eingedrungen war, hatte innerhalb von vierzig Minuten alle Mikrofone eingebaut.
Skalen auf der Empfängerkonsole ermöglichten ihm die Regulierung der Lautstärke jedes Senders; die Anlage war im übrigen so ausgestattet, daß der Ton jedes einzelnen Geräts getrennt auf Band aufgenommen werden konnte. Bisher hatte es dazu wenig Gelegenheit gegeben. In den beiden vergangenen Wochen hatte er nichts erfahren, was nicht als normale Alltagsgespräche zu bezeichnen war. Wenn die Bewohner sich eines Codes bedienten, um Geheiminformationen auszutauschen, so war Duncan davon bisher nichts aufgefallen. In Telefongesprächen ging es nur um den üblichen Tratsch aus der Nachbarschaft. Señor Mendez betrieb eine Autoreparaturwerkstatt. Am Abend sahen die Eheleute meist fern, und sie hatten seit Beginn der Überwachung nicht miteinander geschlafen.
Duncan verstand Spanisch – das war einer der Gründe, weshalb er den Auftrag bekommen hatte. Schon bei den ersten Worten des Besuchers wurde er hellwach, denn der Besucher, der sich Jeff Walker nannte, fragte ohne Umschweife nach Juana Mendez. Duncan hörte gespannt zu, justierte und achtete darauf, daß die Tonbandgeräte jedes Wort aufnahmen. Gleichzeitig drückte er auf einen Knopf an seinem Mobiltelefon, die gewünschte Nummer war gespeichert. Er preßte das Gerät ans Ohr und hörte ein Summen. Es summte ein zweites Mal, dann meldete sich eine angenehme männliche Stimme, die die Störungen übertönte. »Hier Tucker.«
»Duncan Bradley. Wollte nur melden: Hier tut sich was.«
5
»Ja, warum hat Juana mich nicht mit nach Hause gebracht? Das habe ich mich auch gefragt. Ich glaube, es lag daran, daß sie nicht sicher war, ob Sie und Ihr Mann einverstanden wären.«
Das war sehr gewagt, doch Buchanan mußte etwas tun, um sie von ihren Vorbehalten abzubringen. Etwas stimmte nicht; er wußte nicht, was es war.
»Warum hätten wir nicht einverstanden sein sollen?« Die dunklen Augen sprühten kaum gezügelten Unwillen. »Weil Sie Amerikaner sind? Das ist verrückt. Die Hälfte der Angestellten meines Mannes sind Weiße, auch viele von Juanas Schulfreundinnen. Wir haben keine Vorurteile.«
»Entschuldigen Sie, das meinte ich nicht. Ich hatte nicht die Absicht, Sie zu beleidigen. Juana hat mir erzählt, daß Sie nichts dagegen hätten, wenn sie sich mit jemandem traf, der kein Lateinamerikaner war.«
»Warum hätten wir also Einwände haben sollen?«
»Weil ich kein Katholik bin.«
»Oh«, kam es ganz leise.
»Dies war – so hörte ich – das einzige, was Sie von Juana erwarteten: Wenn sie sich je ernsthaft für einen Mann interessierte, müßte er Katholik sein. Es war Ihr Wunsch, daß Ihre Enkel im katholischen Glauben erzogen würden.«
»Ja, das ist wahr. Das habe ich oft zu ihr gesagt. Sie kennen Sie tatsächlich gut.«
Aus dem Hintergrund ertönte eine barsche Stimme. »Anita, mit wem unterhältst du dich da? Warum dauert es so lange?« Juanas Mutter warf einen Blick zur Wohnzimmertür. »Warten Sie«, sagte sie zu Buchanan und schloß die Tür. Er hörte leisen Wortwechsel. Señora Mendez kam zurück. »Bitte, treten Sie ein.« Das klang nicht froh, und sie machte eher ein unglückliches Gesicht, als sie die Tür verriegelte und ihn ins Wohnzimmer führte.
Ein kleiner Mann in den Fünfzigern mit pechschwarzem Haar und noch dunkleren Augen
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