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Der Mann mit den hundert Namen

Der Mann mit den hundert Namen

Titel: Der Mann mit den hundert Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Morrell
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ihrer Bank gewählt und sich mit der Kontoführung verbinden lassen. Einige Damen der Gesellschaft, auf samtbezogenen Stühlen vor den Spiegeln mit ihrem Make-up beschäftigt, wandten sich um, als sie den berühmten Star erkannten. Sie nickte, und ihr herrischer Blick bedeutete: »Ich darf wohl sehr bitten! Keine Störung.«
    »Kontoführung«, näselte eine männliche Stimme.
    »Würden Sie bitte diese Nummer überprüfen.« Sie nannte die Kontonummer und das Codewort.
    »Einen Augenblick … Ja, das Konto erscheint auf meinem Bildschirm.«
    »Wie lautet der Kontostand?«
    Die näselnde Stimme gab Auskunft. Die Summe entsprach dem neuesten Auszug.
    »Ich könnte über diesen Betrag also verfügen?«
    »Bei Abhebungen ist eine zweite Unterschrift erforderlich.«
    »Wessen Unterschrift?«
    »Die von Mister Drummond oder seinem Sekretär.«
    Da war ihr klar, daß ihr Auftraggeber sie aus ihrer Rolle nicht lebend zu entlassen gedachte …
    Ihre Vorbereitungen zum Ausstieg zogen sich über mehrere Wochen hin. Sie wartete auf den geeigneten Augenblick. Niemand schöpfte Verdacht, dessen war sie sicher. Sie gab sich den Anschein, wunschlos glücklich zu sein – die beste schauspielerische Leistung ihres Lebens. Am letzten Abend begab sie sich um Mitternacht in ihr Schlafzimmer und hielt die Augen geschlossen, als das Dienstmädchen um zwei Uhr nach ihr sah; dann wartete sie noch zwei Stunden. Schnell hatte sie Turnschuhe und ihren grauen Jogginganzug mit Kapuze angezogen. Die Kette, die Armbänder und Ohrringe stopfte sie in ihr Portemonnaie, denn Drummond sollte annehmen, daß sie noch an die Echtheit des Schmuckes glaubte und ihn verkaufen wollte. Seine Leute würden mit der Befragung von unzähligen Händlern viel Zeit verlieren. Sie besaß etwas Geld: ein paar Dollar, die sie Münze für Münze ihrer Bewacherin gestohlen hatte, während diese nebenan beschäftigt war, und die fünfundzwanzig Dollar, die sie an ihrem ersten Arbeitstag gerade in der Tasche trug. Das würde natürlich nicht lange reichen, sie benötigte mehr.
    Zuallererst mußte sie die Wohnung verlassen. Da sie eine Gefangene war, ging sie davon aus, daß die Tür mit einer Alarmanlage versehen war, die losschrillen würde, sobald sie nachts zu fliehen versuchte. Dies war einer der Gründe, weshalb sie mehrere Wochen gewartet hatte. So lange dauerte es, bis sie hinter Möbeln und Gemälden nach dem verborgenen Schalter gesucht und ihn endlich gefunden hatte. Er war hinter der Hausbar angebracht. Sie hatte ihn abgestellt, leise die Tür geöffnet und dann auf dem Korridor nach links gespäht. Der Posten, der zur Bewachung des Lifts für gewöhnlich auf einem Stuhl an der Ecke saß, war nicht zu sehen. Höchstwahrscheinlich schlief er um vier Uhr morgens in irgendeiner Ecke und verließ sich darauf, vom Fahrstuhlgeräusch geweckt zu werden.
    Sie hatte jedoch keineswegs vor, den Lift zu benutzen. Sie ließ ihre Tür angelehnt, wandte sich nach rechts und schlich über den Teppichboden lautlos zum Notausgang. Dieser war, im Unterschied zu der ins Foyer führenden Treppe, nicht bewacht. Mit äußerster Vorsieht öffnete sie die Tür, schloß sie leise hinter sich und wischte sich aufatmend den Schweiß von den Händen.
    Sie eilte durch das kalte, dunkle Treppenhaus hinunter, ihre Gummisohlen machten kaum ein Geräusch. Neununddreißig Stockwerke später erreichte sie, energiegeladen und nicht etwa ermüdet, die Tür zum Foyer, blieb aber nicht stehen, sondern wandte sich dem »Durchgang zur Garage« zu. Drei Minuten später atmete sie die kühle Spätherbstluft Manhattans ein.
    Am liebsten hätte sie einen Mantel mitgenommen, aber in ihrem Kleiderschrank hingen nur teure Stücke, dazu gedacht, über der Abendgarderobe getragen zu werden. Etwas Unauffälliges wie eine Windjacke gab es dort nicht. Egal. Sie war frei.
    Ohne Perücke, besonderes Make-up und maskenbildnerische Hilfsmittel glich sie nicht mehr der Frau, die sie darstellen sollte. Auf der Straße würde man sie zwar nicht erkennen, doch Alistair Drummond besaß eine Fotografie mit ihrem eigentlichen Aussehen, so daß sie kein Taxi zu nehmen wagte. Der Fahrer würde sich daran erinnern, wann und wo die dunkelhäutige Lateinamerikanerin eingestiegen war. Er würde sich auch merken, wo er sie abgesetzt hatte. Es war nach ihrer Meinung besser, Drummond keinerlei Anhaltspunkte zu liefern und sich statt dessen einfach in Luft aufzulösen.
    So rannte sie los, allem Anschein nach eine Joggerin, die in der

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