Der Mann mit den hundert Namen
Buchanans rechtem Arm.
Ihm blieb keine andere Wahl. Mit heulenden Sirenen und blinkenden Lichtern hielten Unfallfahrzeuge auf der Brücke. Am Rande der Wasserrinne zwischen Sandbank und Festland blieb er stehen und sah sich mißtrauisch um – kein Verfolger zu sehen oder zu hören. Schnell zog er den zusammengerollten Gürtel aus der Hosentasche, den er dem toten Fernandez II wieder abgenommen hatte. Es war ein geflochtener Ledergürtel ohne Ösen. Buchanan legte ihn um die geschwollene rechte Schulter oberhalb der Wunde und befestigte ihn, indem er mit der linken Hand am losen Ende zog, dabei den rechten Arm nach oben beugte und den Dorn mit den zittrigen Fingern der Rechten durch das Leder steckte. Er schwankte, ihm wurde schwarz vor Augen. Doch nur für einen Augenblick. Er durfte jetzt nicht schlappmachen. Unter Aufbietung aller Kräfte bewegte er die Beine. Auch wenn er es nicht sehen konnte, spürte er, daß die Blutung nachließ.
Er fürchtete, die blauen, klatschnassen Leinenschuhe zu verlieren, also zog er sie aus, knotete die Schnürsenkel zusammen und band sie sich fest um das rechte Handgelenk. Nachdem er die Liste mit seinen Decknamen in kleine Fetzen zerrissen hatte, watete er in das dunkle, lauwarme Wasser. Als die Wellen ihm gegen die Brust schlugen, stieß er sich vom sandigen Grund ab und schwamm los. Eine starke Strömung zerrte an ihm. Die Papierschnipsel ließ er erst nach und nach los.
Er schwamm nur mit dem linken Arm, doch die Stöße seiner muskulösen Beine gaben ihm genügend Schwung. Die am Handgelenk befestigten Schuhe bremsten natürlich etwas. Er mußte die Beinarbeit noch verstärken.
Das Wasser durchtränkte den Gürtel an Buchanans rechter Schulter, das Leder dehnte sich, so daß der Druck oberhalb der Wunde nachließ. Sein rechter Arm wurde gut durchblutet und reagierte auf die zerrende Strömung. Das Salzwasser brannte in der Wunde. Vielleicht wirkt es desinfizierend, dachte er, bis er die auf der Oberfläche schwimmende, von den zahlreichen Motorbooten stammende Öl- und Benzinschicht roch und begriff, daß eher das Gegenteil der Fall sein würde. Die lockere Knebelpresse bedeutete, daß das Blut wieder reichlicher floß, und Blut könnte …
Er schwamm schneller, denn zwischen den zahlreichen Riffen vor der Küste wurden oft Barrakudas gesichtet, und manchmal wurde sogar von Haien berichtet, die in die Fahrrinne und in die Lagune zwischen Insel und Festland kamen. Da berührte etwas seinen Fuß. Vielleicht ein Stück Holz oder ein Büschel treibender Seetang. Es konnte aber auch …
Die Mündung der Fahrrinne war etwa dreißig Meter breit. Ein Viertel der Strecke hatte er hinter sich. So weit vom dunklen Ufer entfernt kam er sich klein und verlassen vor, andererseits fühlte er sich von der Nacht verborgen. Plötzlich drang das Brummen eines Motors an sein Ohr, er blickte besorgt nach links. Das Brummen wurde zum Dröhnen, schon sah er die Lichter des sich schnell nähernden Motorboots. Es kam aus der Lagune, raste unter der Brücke hindurch in Richtung Meer auf ihn zu. Ein Polizeiboot? Buchanan versuchte mit aller Kraft auszuweichen. Der anhaltende Blutverlust schwächte ihn. Entsetzt blickte er auf das näherkommende Boot und erkannte im Schein seiner Lichter, daß es kein Polizeischiff war, sondern eine Jacht mit feiernden Männern und Frauen.
Buchanan spürte die Vibrationen des Motors schon so nahe, daß er fürchtete, in wenigen Sekunden entdeckt oder angefahren zu werden, er holte tief Atem, tauchte und mußte sogar den verletzten Arm zu Hilfe nehmen, um schneller voranzukommen und dem Rumpf und den Schrauben auszuweichen.
Das Rumpeln der starken Maschinen war unerträglich für seine Ohren. Als er tiefer und tiefer sank, behinderten die Turnschuhe am Handgelenk die ohnehin ungeschickten Bewegungen des verletzten Arms. Das laute Dröhnen war unmittelbar über ihm. Kaum ließ es nach, schoß Buchanan wild nach oben, die Benommenheit war wieder da, die Luft ging ihm aus. Abermals streifte er etwas Unbekanntes.
Er schlug mit dem Schädel gegen etwas Großes, Hartes. Der Aufprall traf ihn so unvorbereitet und war so schmerzhaft, daß Buchanan unwillkürlich einatmete, dabei Wasser schluckte und husten mußte. Mit aller Macht strebte er nach oben. Noch einmal stieß er irgendwo an, kam an die Oberfläche, füllte sich gierig die Lunge mit Luft und kämpfte gegen den Brechreiz. Er litt Todesqualen und versuchte verzweifelt, sich zu orientieren. Mit den Blicken
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