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Der Mann mit den hundert Namen

Der Mann mit den hundert Namen

Titel: Der Mann mit den hundert Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Morrell
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illegal.
    Was ihre Unruhe in panischen Schrecken verwandelt hatte, war die plötzliche Gewißheit, daß sie nicht nur ein zurückgezogenes Leben vortäuschen mußte, sondern daß sie eine Gefangene war. Zugegeben, es war dilettantisch von ihr gewesen, aus ihrer Rolle ausbrechen zu wollen. Kaum war ihr der Einfall gekommen, allein im Central Park spazierenzugehen und anschließend vielleicht das Metropolitan Museum of Art zu besuchen, verwarf sie ihn schon wieder. Für einen Augenblick hatte sie sich frei gefühlt, danach jedoch resigniert. Ich habe einen Vertrag unterschrieben. Ich habe ein Honorar, ein hohes Honorar für die Verkörperung einer Rolle angenommen. Ich kann nicht gegen die Abmachung verstoßen. Und wenn ich es täte, was wären wohl die Folgen?
    Die quälende Frage ließ ihre eingeengte Welt noch unerträglicher erscheinen. Abgesehen von einigen genehmigten Stadtbesuchen und dem einen oder anderen Telefonat verbrachte sie fast den ganzen Tag mit Gymnastik, Lesen, Videos, Musik und mit den Mahlzeiten. Das alles hatte sich anfangs wie ein Urlaub angehört, bis sie gezwungen war, so zu leben. Die Tage waren lang und länger geworden. Zwar war ihr in Gegenwart von Alistair Drummond und seinem Assistenten unbehaglich zumute, doch ihre Besuche waren ihr beinahe willkommen. Eine Abwechslung, wenn auch eine beängstigende.
    Sie war eine erfahrene Beobachterin. Schon als sie das Apartment zum ersten Mal verlassen durfte und zu Drummonds Limousine begleitet wurde, fiel ihr auf, daß das Gebäude überwacht wurde: von einem Blumenhändler auf der anderen Straßenseite, einem Würstchenverkäufer an der Straßenecke, zweifellos auch vom Portier des Hauses und einer Pennertype am Hintereingang. Sie war allerdings davon ausgegangen, daß diese Posten die Aufgabe hatten, die ehemaligen Freunde ihres Rollenvorbilds daran zu hindern, unerwartet einzutreffen und sie zu überraschen. Aber bald war ihr klar geworden, daß die Bewachung des Gebäudes einem doppelten Zweck diente: ihr das Verlassen, anderen den Zugang zu verwehren.
    Wann wird es mir gelingen, aus der Sache wieder herauszukommen? hatte sie sich gefragt. Wann wird das Spiel zu Ende sein? Wird es überhaupt ein gutes Ende finden?
    Als sie eines Abends ihre Diamantenkette anlegte, die ihr Drummond nach ihrer Annahme des Auftrags überreicht hatte, fuhr sie aus Versehen mit dem größten Stein über ein Wasserglas. Er hinterließ keinen Kratzer, und das bedeutete, daß es kein Diamant war. Und das wiederum hieß, daß die Kette wertlos war.
    Mißtrauisch geworden, prüfte sie den Kontoauszug, der ihr regelmäßig geschickt wurde. Das Ergebnis: Jeder Auszug bestätigte, daß das monatliche Honorar wie versprochen überwiesen worden war. Da sie mit allem Lebensnotwendigen versorgt sei, brauche sie das Geld momentan nicht, hatte Drummond erklärt, und so könne sie nach Ablauf des Vertrags die ganze riesige Summe auf einmal abheben.
    Sie wagte nicht, ihr Telefon zu benutzen, also wartete sie auf eine der seltenen Gelegenheiten, wenn sie das Haus tagsüber verlassen durfte und die Bank geöffnet war. Während einer Programmpause bei einem Essen mit Politikern hatte sie Alistair Drummond zugeflüstert, daß sie zur Damentoilette müsse. Ohne das Gesicht zu verziehen, hatte Drummond zustimmend genickt und einen Leibwächter angewiesen, sie zu begleiten.
    »Nein, ich will keinen Begleiter«, hatte sie geflüstert und sich mit der Brust an ihn gelehnt, »ich brauche lediglich fünfzig Cent. Soviel kostet nämlich die Klobenutzung.«
    »Sagen Sie nicht ›Klo‹.« Drummond hatte bei diesem Fauxpas mißbilligend den Mund verzogen.
    »Wenn Sie wollen, nenne ich es Rosenvase. Trotzdem brauche ich fünfzig Cent. Und etwas Trinkgeld für die Frau, die mir ein Handtuch reicht. Ich brauchte Sie nicht darum zu bitten, wenn Sie mir ab und zu ein bißchen Geld in die Hand gegeben hätten.«
    »Für alle Ihre Bedürfnisse ist gesorgt.«
    »Richtig. Außer wenn ich mal aufs Klo muß – Entschuldigung, auf die Rosenvase.« Sie preßte ihre Brust nachdrücklicher gegen den knochigen Arm.
    Drummond wandte sich an Raymond, der neben ihm saß. »Begleiten Sie sie. Geben Sie ihr, was sie braucht.«
    Sie ging in Raymonds Begleitung durch die Reihen, ohne die neugierigen Blicke von Prominentenanbetern zu beachten. Raymond hatte ihr diskret seine Geldbörse überreicht, und kaum hatte sie den luxuriösen Ladies-Room betreten, war sie auf den Münzfernsprecher zugesteuert, hatte die Nummer

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