Der Mann mit den hundert Namen
darf.«
Der Mann hinter ihm zerrte ihn wieder an den Haaren, so daß ihm Tränen in die Augen traten. »Du denkst wohl, das ist alles nicht ernst gemeint?«
»O nein. Glauben Sie mir. Ich weiß, das Sie es sehr ernst meinen.«
»Aber man merkt dir keine Furcht an.«
»Nicht? Ich fürchte mich aber sehr.«
Der Dicke strahlte zufrieden.
»Weil ich unschuldig bin, habe ich andererseits Wut im Bauch. Mir reicht’s jetzt.« Jedes Wort kostete ihn große Anstrengung. »Ich möchte einen Anwalt sprechen.«
Der Vernehmer starrte ihn ungläubig an und brach schließlich in dröhnendes Gelächter aus, wobei sein Wanst wackelte. »Einen Anwalt?«
Auch der Wachtposten platzte los.
»Un jurisconsulto?« fragte der Beamte höhnisch. »Wozu?« Er schlug Buchanan mit dem Schlauch über die Schienbeine. »Ich habe dir schon gesagt, du brauchst keinen Anwalt, du brauchst einen Priester. Denn dir helfen jetzt nur noch Gebete.«
»Ich bin Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika. Ich habe das Recht …« Buchanan konnte sich nicht länger beherrschen. Seine Blase war bis zur Schmerzgrenze voll. Er mußte sich entleeren. Das warme Naß ergoß sich über den Stuhlsitz und tropfte auf den Boden.
» Cochino – Schwein!« Buchanan bekam einen Hieb auf die verletzte Schulter. Er wurde am Hemd gepackt und nach vorn gezerrt. Dabei kippte der Stuhl um und riß Buchanan mit.
Er schlug mit dem Gesicht auf den Betonboden. Er hörte noch, daß sein Peiniger auf spanisch nach einem Scheuerlappen rief. Der Gringo solle die Sauerei selber aufwischen. Doch Buchanan bezweifelte, daß er dazu in der Lage sein würde. Er bemerkte, daß sein Urin rot war. Sie haben mir innere Verletzungen zugefügt, ich habe Blut im Urin, dachte er.
»Weißt du, was ich glaube, Gringo? Ich glaube, du bist in Drogengeschäfte verwickelt. Du und die Männer, die du gekillt hast, ihr habt euch um Einnahmen gestritten. Ich …« Die Stimme des Beamten wurde leiser und verhallte wie ein Echo. Buchanan war bewußtlos.
6
Buchanan saß wieder aufrecht, noch immer an den Stuhl gefesselt. Es dauerte geraume Zeit, bis er deutlich sehen konnte und sein Geist wieder aufnahmefähig war. Er konnte sich nicht vorstellen, wie lange er ohnmächtig gewesen war. Die Urinlache war verschwunden. Nicht einmal ein feuchter Fleck ist geblieben. Viel Zeit muß vergangen sein, schloß er. Doch meine Hose ist noch naß. Verdammt, sie haben mich einfach in einen anderen Raum geschleift. Sie wollen mein Gehirn manipulieren.
»Wir haben einen Freund herbestellt.«
»Endlich«, sagte Buchanan. »Mein Kunde kann meine Aussage bestätigen. Wir können die Sache aufklären.«
»Kunde? Habe ich Kunde gesagt?« Der Dicke öffnete die Tür, und flankiert von zwei Wachen trat ein großer Kerl mit breiten Schultern ein: Big Bob Bailey – in denselben Klamotten, mit denen er in das Restaurant des Club Internacional in Cancún gekommen war. Der Mann wirkte erschöpft, das unrasierte Gesicht war gerötet, aber nicht von Sonne oder Alkohol, sondern vor Aufregung.
Die Wachtposten stießen Bailey in den Raum und hielten ihn mit festem Griff an den Ellbogen. Er tappte unsicher voran.
Na, die haben dich ordentlich in die Mangel genommen, seit sie dich am Strand festgenommen haben, dachte Buchanan. Sie haben jede kleine Information aus dir herausgepreßt, und da sie dir übel mitgespielt haben, bestärkt dich das, bei deiner Geschichte zu bleiben.
Der Vernehmer drückte Buchanans Gesicht mit dem Schlauchende nach oben. »Ist das der Mann, den Sie in Cancún gesehen haben?«
Bailey zögerte.
»Antworten Sie.«
»Ich …« Bailey fuhr sich mit zittriger Gebärde über den Bürstenschnitt. »Könnte sein.« Seine Stimme war heiser, er roch nach Zigarettenqualm.
»Könnte sein?« Der Beamte zeigte ihm das Phantombild. »Als sie der Polizei dabei geholfen haben, muß Ihre Beschreibung ganz eindeutig gewesen sein.«
»Na ja, aber …«
»Aber?«
Bailey räusperte sich. »Ich hatte getrunken. Mein Verstand war wohl nicht ganz klar.«
»Sind Sie jetzt nüchtern?«
»Ja, leider ganz nüchtern.«
»Dann müßte Ihr Verstand wieder klar sein. Ist das der Mann, der drei Männer am Strand hinter dem Hotel erschossen hat?«
»Moment mal. Ich habe nicht gesehen, wie jemand erschossen wurde. Ich habe bei der Polizei in Cancún lediglich ausgesagt, daß ich einen Bekannten mit drei Mexikanern gesehen habe. Es war dunkel. Schüsse fielen. Ich bin in Deckung gegangen. Ich weiß nicht, wer wen
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