Der Mann mit den hundert Namen
am Telefon. »Don, Sie sehen ja toll aus. Auf Ihren Karten stand nichts davon, daß Sie schlanker geworden sind.«
»Ich habe das Essen nicht vertragen. Kommen Sie herein, Alan. Ich habe nachgedacht, vielleicht sollten wir doch nicht essen gehen. Mir ist nicht nach Klaviermusik.«
»Wie Sie wollen.« Der Mann, der sich als Alan ausgegeben hatte, was zweifellos ein Deckname war, trug einen kleinen Aktenkoffer aus Metall bei sich und sagte nichts mehr, bis Buchanan die Tür verschlossen hatte. Plötzlich änderte er sein Verhalten, wie ein Schauspieler, der aus seiner Rolle schlüpft, sobald er die Bühne verläßt. Er benahm sich geschäftsmäßig. »Das Apartment wurde heute nachmittag gründlich durchsucht. Keine Wanzen. Wie geht es Ihnen?«
Buchanan zuckte mit den Achseln. Eigentlich fühlte er sich wie ausgepumpt, aber seine Ausbildung verbot ihm, sich Schwächen anmerken zu lassen.
»Heilt die Wunde gut?«
»Die Infektion ist zurückgegangen.«
»Okay«, sagte der andere einfach. »Was ist mit dem Kopf? Ich habe gehört, Sie sind …«
»Dummer Unfall.«
»In dem Bericht, den ich erhielt, stand etwas von Gehirnerschütterung.«
Buchanan nickte.
»Und eine Schädelfraktur.«
Buchanan nickte abermals. »Aber nur eine Impressionsfraktur. Ein Knochensegment wurde innen gegen das Gehirn gedrückt, daher die Gehirnerschütterung. Es ist also kein Riß im Gebälk. So schlimm ist es nicht. In Fort Lauderdale war ich einen Tag zur Beobachtung im Krankenhaus. Dann hat mich der Arzt entlassen.«
Alan setzte sich auf das Sofa, ohne Buchanan aus dem Auge zu lassen. »So stand es im Bericht. Dort hieß es auch, daß noch ein Checkup nötig ist, um festzustellen, ob die Quetschung am Hirn zurückgegangen ist.«
»Könnte ich herumlaufen, wenn es sich nicht gebessert hätte?«
»Ich weiß nicht.«
»Wenn ich gemerkt hätte, daß die Verletzung meine Einsatzfähigkeit beeinträchtigt, dann hätte ich es gemeldet.«
»Lobenswert. Und wenn Sie glaubten, Sie brauchen mal etwas Urlaub, dann würden Sie es sagen – oder?«
»Na klar.«
Der andere schwieg und sah Buchanan nachdenklich an, bevor er am Kombinationsschloß seines Aktenkoffers drehte und ihn dann aufschnappen ließ. »Wir haben einigen Papierkram zu erledigen.«
Endlich rückt er mit meiner neuen Identität raus, dachte Buchanan, aber er hatte gleichzeitig ein ungutes Gefühl. Irgend etwas an der Haltung des Mannes mißfiel ihm. In seiner achtjährigen Tätigkeit als Undercoveragent hatte Buchanan mit Leitoffizieren verschiedenster Art gearbeitet. Sympathisch zu sein war keine Bedingung für diesen Job, und manchmal blieb auch einfach keine Zeit, etwas höflich zu sagen. Es hatte auch wenig Sinn, sich mit jemandem anzufreunden, dem man höchstwahrscheinlich nie wieder begegnete. Zuteilen fühlte Buchanan sich zu jemandem hingezogen, wie zum Beispiel zu Jack und Cindy Doyle. Er wappnete sich zwar gegen solche Gefühle, doch ergab es sich gelegentlich, und jedesmal fühlte er beim Abschied eine innere Leere. So konnte er sehr gut verstehen, warum der korpulente Typ die Angelegenheit so geschäftlich wie möglich abwickeln wollte. Nein, das war nicht der Grund für Buchanans Unbehagen. Es lag an etwas anderem, und er konnte es nur auf seine schlechten Erfahrungen mit Bailey schieben, auf seinen Instinkt, der ihm befahl, besonders vorsichtig zu sein.
»Hier ist die unterschriebene Empfangsbestätigung«, sagte Alan. »Nun können Sie mir die Papiere von Victor Grant geben.«
Buchanan traute diesem Alan nicht. »Sind weg«, antwortete er achselzuckend.
»Wie bitte?«
»Als ich in Fort Lauderdale den Wagen ins Wasser schob, mußte ich die Papiere drinlassen, damit die Behörden einen Anhaltspunkt für die Identifikation des Fahrers hatten, nachdem seine Leiche nicht aufzufinden war … Ich meine, damit sie zu dem Schluß kamen, daß es sich um einen Victor Grant handelt.«
»Sie haben alles zurückgelassen?«
»Führerschein. Kreditkarte. Sozialversicherungskarte – alles. Alles in einer Brieftasche in der Jacke, damit es nicht davontrieb. Der Polizei wäre es komisch vorgekommen, wenn sie nur einen Führerschein gefunden hätte.«
»Den Paß hätten Sie behalten müssen. Wenn ein Experte den prüft, kann es eine Menge Fragen geben, die die Leute im State Department nicht beantworten können. Und dann ist es möglich, daß man uns fragt.«
»Ich konnte ihn nicht mitnehmen«, log Buchanan. Tatsächlich befand sich das Dokument im Schlafzimmer in einer
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