Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
Schweigen der Seele, wenn –«. An diesem Tag diktierte Arnheim nicht weiter, und am folgenden ließ er den Satz streichen.
    Was wog nun gegen Erlebnisse von solcher Ausdehnung und Tiefe des Hintergrunds das etwas gewöhnliche der körperlich an eine Frau geknüpften Liebe? Arnheim mußte sich leider gestehen, daß es genau so viel wog wie die sein Leben zusammenfassende Erkenntnis, daß alle Wege zum Geist von der Seele ausgehen, aber keiner zurückführt! Gewiß hatten sich schon viele Frauen naher Beziehungen zu ihm glücklich geschätzt, aber wenn es nicht parasitäre Naturen waren, so waren es tätige, studierte Frauen und Künstlerinnen, denn mit der ausgehaltenen und der selbst erwerbenden Gattung Frau konnte man sich auf Grund klarer Verhältnisse verständigen; die moralischen Bedürfnisse seiner Natur hatten ihn immer in Beziehungen geführt, wo der Instinkt und die ihn begleitenden unvermeidlichen Auseinandersetzungen mit Frauen an der Vernunft einen gewissen Halt hatten. Aber Diotima war das erste Weib, das sein hintermoralisches, geheimeres Leben ergriff, und er sah sie deshalb manchesmal geradezu mit Scheelsucht an. Sie war schließlich nichts als eine Beamtengattin, von bestem Stil zwar, aber doch ohne jene höchste menschliche Bildung, die nur die Macht verleihen kann, und er hätte Anspruch auf ein Mädchen aus der amerikanischen Hochfinanz oder dem englischen Hochadel besessen, wenn er sich ganz binden wollte. Er hatte Augenblicke, wo ein ganz ursprünglicher Unterschied der Kinderstube, ein grausam naiver Kinderhochmut oder das Entsetzen des gepflegten Kindes, das zum erstenmal in die öffentliche Schule geführt wird, in ihm zum Vorschein kam, so daß ihm seine wachsende Verliebtheit wie eine drohende Schande erschien. Und wenn er in solchen Augenblicken seine Geschäfte mit einer eisigen Überlegenheit aufnahm, wie sie nur ein abgestorbener und zurückgekehrter Geist hat, so erschien ihm die kühle, von nichts zu verunreinigende Vernunft des Geldes im Vergleich mit der Liebe als eine außerordentlich saubere Macht.
    Aber das bedeutete nichts, als das für ihn die Zeit gekommen war, wo der Gefangene nicht begreift, wie er sich die Freiheit hat rauben lassen können, ohne sie bis auf den Tod zu verteidigen. Denn wenn Diotima sagte: »Was sind Weltereignisse? Un p eu de bruit autour de notre âme…!« – so fühlte er das Gebäude seines Lebens erzittern.

87

Moosbrugger tanzt
    MOOSBRUGGER saß indessen noch immer in einer Untersuchungszelle des Landesgerichts. Sein Verteidiger hatte frischen Wind in die Segel bekommen und bemühte sich bei den Behörden, die Causa nicht so rasch zum letzten Federstrich kommen zu lassen.
    Moosbrugger lächelte dazu. Er lächelte aus Langweile.
    Die Langweile wiegte seine Gedanken. Gewöhnlich löscht sie sie ja aus; aber die seinen wiegte sie; diesmal; es war ein Zustand, wie wenn ein Schauspieler in der Garderobe sitzt und auf seinen Auftritt wartet.
    Wenn Moosbrugger einen großen Säbel gehabt hätte, würde er ihn jetzt genommen und dem Stuhl den Kopf abgeschlagen haben. Er würde dem Tisch den Kopf abgeschlagen haben und dem Fenster, dem Kübel und der Türe. Er würde dann allem, dem er den Kopf abschlug, seinen eigenen aufgesetzt haben, denn es gab in dieser Zelle nur seinen eigenen Kopf, und das war schön. Er konnte sich ihn vorstellen, wie er auf den Dingen saß, mit dem breiten Schädel, dem Haar, das sich wie ein Fell vom Scheitel in die Stirn zog. Er hatte die Dinge dann gern.
    Wenn der Raum nur größer gewesen wäre und das Essen besser!
    Er war recht froh, daß er keine Menschen sehen konnte. Menschen waren für ihn schwer erträglich. Sie hatten oft eine Art, auszuspucken oder die Schulter hochzuziehen, daß man ganz hoffnungslos wurde und sie mit der Faust in den Rücken stoßen mochte, so als ob man ein Loch durch die Wand schlagen müßte. Moosbrugger glaubte nicht an Gott, sondern an seine persönliche Vernunft. Die ewigen Wahrheiten hießen bei ihm verächtlich: der Richter, der Pfaffe, der Gendarm. Er mußte sich seine Sache allein machen, und da hat man schon manchmal den Eindruck, daß einem alle den Weg verstellen! Er sah vor sich, was er oft gesehen: die Tintenfässer, das grüne Tuch, die Bleistifte, dann das Kaiserbildnis an der Wand und wie sie alle dasaßen; in seiner Anordnung kam ihm das wie ein Schnappeisen vor, zugedeckt mit dem Gefühl, es muß so sein, statt mit Gras und Blättern. Dann fiel ihm gewöhnlich ein, wie draußen

Weitere Kostenlose Bücher