Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
ließ: das waren zwei wirklich nicht inhaltsreiche Beobachtungen, und doch genügten sie, um Tuzzi mit einer unerklärlichen Zuneigung zu beunruhigen. Er öffnete seine braunen Augen und sah eine Weile groß wie ein Uhu in das Zimmer, ohne etwas sehen zu wollen.
Der Vetter seiner Frau sah übrigens gerade so wie er, in gelangweilter Vertraulichkeit vor sich hin und hatte die Pause des Gesprächs nicht einmal bemerkt. Tuzzi empfand, daß man etwas sagen müsse; er fühlte sich unsicher, so als ob einen Menschen, der an Einbildungen leidet, das Schweigen verraten könnte. »Sie denken gerne schlecht von allem,« bemerkte er lächelnd, als hätte der Ausspruch über die Glaubensbeamten bis jetzt vor seinem Ohr auf Eintritt warten müssen »und meine Frau tut wohl nicht unrecht, bei aller verwandtschaftlichen Sympathie Ihre Mithilfe etwas zu fürchten. Wenn ich so sagen darf, neigen Ihre Gedanken über den Mitmenschen zur Spekulation à la baisse.«
»Das ist ein ausgezeichneter Ausdruck,« gab Ulrich erfreut zurück »wenn ich mich auch bescheiden muß, ihm nicht zu genügen! Denn es ist die Weltgeschichte, die immer à la baisse oder à la hausse in Menschen spekuliert hat; auf Baisse-Weise durch List und Gewalt, à la hausse ungefähr so, wie es Ihre Frau Gemahlin hier versucht, durch den Glauben an die Kraft der Ideen. Auch Dr. Arnheim ist, soweit man seinen Worten trauen kann, ein Haussier. Dagegen müssen Sie als berufsmäßiger Baissier in diesem Chor der Engel Empfindungen haben, die ich gerne kennen würde.«
Er musterte den Sektionschef mit Teilnahme. Tuzzi zog seine Zigarettendose aus der Tasche und zuckte die Schultern. »Warum glauben Sie, daß ich anders darüber denken soll, als meine Frau?« antwortete er. Er wollte die persönliche Wendung des Gesprächs ablehnen, hatte sie aber durch seine Antwort verstärkt; der andere bemerkte es glücklicherweise nicht und fuhr fort: »Wir sind eine Masse, die jede Form annimmt, in die sie auf die eine oder die andere Weise hineingerät!«
»Das ist mir zu hoch« erwiderte Tuzzi ausweichend.
Ulrich freute sich darüber. Das war Gegensatz zu ihm selbst; er genoß es ordentlich, mit einem Mann zu sprechen, der auf geistige Reizung nicht antwortete, sondern kein anderes Mittel der Abwehr hatte oder gebrauchen wollte, als gleich seine ganze Person vorzuschützen. Seine ursprüngliche Abneigung gegen Tuzzi hatte sich unter dem Druck der viel größeren Abneigung gegen das Getue in dessen Haus längst umgekehrt; er verstand bloß nicht, warum Tuzzi dieses duldete, und machte sich allerhand Vermutungen darüber. Er lernte ihn nur sehr langsam und wie ein Tier, das man beobachtet, von außen kennen, ohne den erleichternden Einblick, den das Wort in Menschen gewährt, die aus offenem Bedürfnis reden. Zuerst hatte ihm das gedörrte Aussehen des knapp mittelgroßen Mannes gefallen, und das dunkle, starke, viel unsicheres Gefühl verratende Auge, das nicht im geringsten ein Beamtenauge war, aber auch in keiner Weise zu Tuzzis gegenwärtiger Person stimmte, wie sie sich in den Gesprächen zeigte; außer man nahm an, was ja nicht selten vorkommt, daß es ein Knabenauge war, das zwischen den andersgearteten Manneszügen durchblickte, wie ein Fenster, das zu einem unbenützten, abgesperrten und längst vergessenen Teil des Inneren führt. Das nächste, was dem Vetter auffiel, war dann Tuzzis Körpergeruch gewesen; es war ein Geruch an ihm wie von China oder von trockenen Holzschachteln oder ein Gemisch der Wirkungen von Sonne, See, Exotik, Hartleibigkeit und den diskreten Spuren des Raseurs. Dieser Geruch machte ihn nachdenklich; er hatte nur zwei Menschen mit persönlichem Geruch in seiner Bekanntschaft, diesen und Moosbrugger; wenn er sich Tuzzis scharf-zartes Aroma vergegenwärtigte und zugleich an Diotima dachte, über deren großer Oberfläche ein dünner Pudergeruch lag, der nichts zu verdecken schien, so kam man zu Gegensätzen der Leidenschaft, denen das etwas komische wirkliche Zusammenleben dieser beiden Personen in keiner Weise zu entsprechen schien. Ulrich mußte seine Gedanken zurückholen, bis sie wieder jener Distanz von den Dingen entsprachen, die man zulässig nennt, ehe er auf Tuzzis ablehnende Antwort erwidern konnte.
»Es ist anmaßend von mir,« begann er von neuem in jenem leicht gelangweilten, aber entschlossenen Ton, der gesellschaftlich das Bedauern ausdrückt, auch den anderen langweilen zu müssen, weil die Lage, in der sie sich augenblicklich
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