Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
daß dieser wieder eine lange Überlegung loslassen werde, und ärgerte sich im voraus über solche ewige geistige Indiskretion. Aber der Vetter tat nichts, als daß er den vormärzlich gesinnten Mann neben sich wohlgefällig betrachtete. Er nahm schon seit langem an, daß Tuzzi Gründe habe, die Beziehungen seiner Frau zu Arnheim innerhalb gewisser Grenzen gewähren zu lassen, und hätte gerne erfahren, was er dadurch zu erreichen wünschte? Es blieb ungewiß. Vielleicht verhielt sich Tuzzi nur so, wie die Banken von der Parallelaktion dachten, von der sie sich bisher nach Möglichkeit zurückhielten, ohne jedoch ganz darauf zu verzichten, wenigstens einen Finger der Hand mit im Spiel zu haben, und bemerkte dabei Diotimas zweiten Liebesfrühling nicht, obgleich dieser doch so sichtbar wurde. Es war kaum anzunehmen. Ulrich fand Vergnügen daran, die tiefen Falten und Risse in dem Gesicht seines Nachbarn zu betrachten und der harten Modelung der Kiefermuskeln zuzusehn, wenn die Zähne in die Zigarettenspitze bissen. Dieser Mensch erweckte in ihm eine Vorstellung reiner Männlichkeit. Er war des vielen Redens mit sich selbst ein wenig überdrüssig, und das Vergnügen, sich einen wortkargen Menschen auszumalen, war ihm sehr angenehm. Er stellte sich vor, daß Tuzzi gewiß schon als Knabe andere Knaben nicht habe leiden können, wenn sie viel redeten; aus denen entstehen später die schöngeistigen Männer, während die Knaben, die lieber zwischen den Zähnen durchspucken, als daß sie den Mund öffneten, Männer werden, die nicht gerne etwas Unnützes denken und in der Tat, in der Intrige, im einfachen Ertragen oder Abwehren eine Entschädigung für den unentbehrlichen Zustand des Fühlens und Denkens suchen, der sie irgendwie so sehr beschämt, daß sie Gedanken und Gefühle am liebsten nur benützen, um andere Menschen irrezuführen. Natürlich würde Tuzzi, wenn man ihm gegenüber eine derartige Bemerkung gemacht hätte, sie geradeso zurückgewiesen haben wie eine zu gefühlvolle; denn es war sein Grundsatz, nur keine Übertreibungen und Ungewöhnlichkeiten zuzulassen, weder in der einen noch in der anderen Richtung. Man durfte überhaupt mit ihm so wenig über das sprechen, was er als Person sehr gut darstellte, wie man einen Musiker, Schauspieler oder Tänzer fragen darf, was er eigentlich meint, und Ulrich würde in diesem Augenblick am liebsten den Sektionschef auf die Schulter geklopft oder ihm sanft in die Haare gefahren sein, um auf wortlos pantomimischem Wege das Einverständnis zwischen ihnen spielen zu lassen.
Was sich Ulrich nicht richtig vorstellte, war bloß das eine, daß Tuzzi nicht nur als Knabe, sondern auch jetzt in diesem Augenblick das Bedürfnis empfand, zwischen seinen Zähnen in männlichem Strahl hindurch zu spucken. Denn er spürte etwas von dem ungewissen Wohlwollen an seiner Seite, und die Situation war ihm unbehaglich. Er wußte selbst, daß sich in der Äußerung über Philosophie, die er abgegeben hatte, für einen fremden Hörer allerhand mischte, das nicht gerade willkommen war, und der Teufel mußte ihn geritten haben, daß er dem »Vetter« (denn aus irgendwelchen Gründen nannte er Ulrich immer nur so) diesen burschikosen Beweis seines Zutrauens gab. Er mochte schwätzende Männer nicht leiden und fragte sich bestürzt, ob er am Ende, ohne es zu wissen, diesen als Bundesgenossen bei seiner Frau gewinnen wollte; seine Haut wurde bei diesem Gedanken schamdunkel, denn solche Hilfe lehnte er ab, und unwillkürlich trat er mit einigen, schlecht durch einen zufälligen Vorwand maskierten Schritten weiter von Ulrich fort.
Aber dann überlegte er es sich anders, kehrte zurück und fragte: »Haben Sie eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, warum sich Dr. Arnheim so lange bei uns aufhält?« Er bildete sich plötzlich ein, durch eine solche Frage am besten zu zeigen, daß er jede Verbindung mit seiner Frau als ausgeschlossen behandle.
Der Vetter sah ihn unverschämt fassungslos an. Die richtige Antwort lag so nahe, daß es schwer war, eine andere zu finden. »Meinen Sie,« fragte er stockend »daß es wirklich einen besonderen Grund hat? Also dann doch nur einen geschäftlichen?«
»Ich vermag nichts zu behaupten« gab Tuzzi zur Antwort, der sich nun wieder als Diplomat fühlte. »Aber kann es einen anderen Grund geben?«
»Natürlich kann es eigentlich keinen anderen Grund geben« räumte Ulrich höflich ein. »Sie haben eine ausgezeichnete Beobachtung gemacht. Ich muß gestehn,
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