Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
am Morgen zu sich zurückkehren?
So sehr es ihr darum schmeichelte, daß ihr Seelengeliebter allen Männern gefiel, die sie um sich versammelt hatte, und namentlich mit den jüngeren unternehmend verkehrte, entmutigte es sie doch zuweilen, ihn in diese Betriebsamkeit verflochten zu sehn, und sie fand, daß sich ein Geistesfürst weder den Verkehr mit dem gewöhnlichen Geistesadel so angelegen sein lassen dürfte, noch dem beweglichen Markten der Gedanken zugänglich sein sollte.
Die Ursache lag darin, daß Arnheim kein Geistesfürst war, sondern ein Großschriftsteller.
Der Großschriftsteller ist der Nachfolger des Geistesfürsten und entspricht in der geistigen Welt dem Ersatz der Fürsten durch die reichen Leute, der sich in der politischen Welt vollzogen hat. So wie der Geistesfürst zur Zeit der Fürsten, gehört der Großschriftsteller zur Zeit des Großkampftages und des Großkaufhauses. Er ist eine besondere Form der Verbindung des Geistes mit großen Dingen. Das mindeste, was man von einem Großschriftsteller verlangt, ist darum, daß er einen Kraftwagen besitzt. Er muß viel reisen, von Ministern empfangen werden, Vorträge halten; den Chefs der öffentlichen Meinung den Eindruck machen, daß er eine nicht zu unterschätzende Gewissensmacht darstelle; er ist chargé d'affaires des Geistes der Nation, wenn es gilt, im Ausland Humanität zu beweisen; empfängt, wenn er zu Hause ist, notable Gäste und hat bei alledem noch an sein Geschäft zu denken, das er mit der Geschmeidigkeit eines Zirkuskünstlers machen muß, dem man die Anstrengung nicht anmerken darf. Denn der Großschriftsteller ist keineswegs einfach das gleiche wie ein Schriftsteller, der viel Geld verdient. Das »gelesenste Buch« des Jahres oder Monats braucht er niemals selbst zu schreiben, es genügt, daß er gegen diese Art der Bewertung nichts einzuwenden hat. Denn er sitzt in allen Preisgerichten, unterzeichnet alle Aufrufe, schreibt alle Vorworte, hält alle Geburtstagsreden, äußert sich zu allen wichtigen Ereignissen und wird überall gerufen, wo es zu zeigen gilt, wie weit man es gebracht hat. Denn der Großschriftsteller vertritt bei allen seinen Tätigkeiten niemals die ganze Nation, sondern gerade nur ihren fortschrittlichen Teil, die große, beinahe schon in der Mehrheit befindliche Auserlesenheit, und das umgibt ihn mit einer bleibenden geistigen Spannung. Es ist natürlich das Leben in seiner heutigen Ausbildung, das zur Großindustrie des Geistes führt, so wie es umgekehrt die Industrie zum Geist, zur Politik, zur Beherrschung des öffentlichen Gewissens drängt; in der Mitte berühren sich beide Erscheinungen. Darum weist die Rolle des Großschriftstellers auch nicht etwa auf eine bestimmte Person hin, sondern stellt eine Figur am gesellschaftlichen Schachbrett dar, mit einer Spielregel und Obliegenheit, wie sie die Zeit ausgebildet hat. Die des Guten beflissenen Menschen dieser Zeit stehen auf dem Standpunkt, daß es ihnen wenig nützt, wenn irgendwer Geist habe (es ist davon so viel vorhanden, daß es auf etwas mehr oder weniger nicht ankommt, jedenfalls glaubt jeder für seine Person genug zu haben), sondern daß man den Ungeist bekämpfen müsse, wozu es nötig ist, daß der Geist gezeigt, gesehen, zur Wirkung gebracht werde, und weil sich dazu ein Großschriftsteller besser eignet als selbst ein größerer Schriftsteller, den vielleicht nicht mehr so viele verstehen könnten, trägt man nach Kräften dazu bei, daß die Größe recht ins Große gerät.
Wenn man das so versteht, war Arnheim daraus, daß er eine der ersten, probeweisen ‚wenn auch schon sehr vollkommenen Verkörperungen dieser Verhältnisse bedeutete, kein schwerer Vorwurf zu machen, doch gehörte immerhin eine gewisse Anlage dazu. Denn die meisten Schriftsteller würden gerne Großschriftsteller sein, wenn sie es nur könnten, aber das ist so wie mit den Bergen: zwischen Graz und Sankt Pölten gibt es viele, die genau so auszusehen vermöchten wie der Monte Rosa, bloß stehen sie zu niedrig. Die unerläßlichste Voraussetzung, um ein Großschriftsteller zu werden, bleibt also die, daß man Bücher oder Theaterstücke schreibt, die sich für hoch und niedrig eignen. Man muß wirken, ehe man das Gute wirken kann; dieser Grundsatz ist der Boden eines jeden Großschriftstellerdaseins. Und das ist ein wundersames, gegen die Versuchungen der Einsamkeit gerichtetes Prinzip, geradezu das Goethesche Prinzip des Wirkens, daß man sich nur in der freundlichen
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