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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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braucht! Würde ein solcher Mann nicht außerhalb der Gemeinschaft stehen und sich mit allen Folgen, die das hat, der Wirklichkeit entziehen müssen?! – Es war jedenfalls die Meinung Arnheims.

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Der Großschriftsteller, Vorderansicht
    DIE EIGENTLICHE Schwierigkeit im Dasein eines Großschriftstellers entsteht erst dadurch, daß man im geistigen Leben zwar kaufmännisch handelt, aber aus alter Überlieferung idealistisch spricht, und diese Verbindung von Handel und Idealismus war es auch, die in Arnheims Lebensbemühungen eine entscheidende Stelle innehatte.
    Man findet solche unzeitgemäße Verbindungen heute überall. Während zum Beispiel die Toten schon im Benzintrab auf den Friedhof befördert werden, verzichtet man doch noch nicht darauf, bei einer schönen Kraftleiche oben auf dem Wagendeckel einen Helm und zwei gekreuzte Ritterschwerter anzubringen, und so ist es auf allen Gebieten; die menschliche Entwicklung ist ein lang auseinandergezogener Zug, und so, wie man sich vor ungefähr zwei Menschenaltern noch in Geschäftsbriefen mit blauen Redeblümlein geschmückt hat, könnte man heute schon alle Beziehungen von der Liebe bis zur reinen Logik in der Sprache von Angebot und Nachfrage, Deckung und Eskompte ausdrücken, jedenfalls ebenso gut, wie man sie psychologisch oder religiös ausdrücken kann, aber man tut es doch nicht. Der Grund liegt darin, daß die neue Sprache noch zu unsicher ist. Der ehrgeizige Geldmann ist heute in einer schwierigen Lage. Wenn er den älteren Mächten des Seins ebenbürtig sein will, so muß er seine Tätigkeit an große Ideen knüpfen; große Gedanken, die widerspruchslos geglaubt würden, gibt es aber heute nicht mehr, denn diese skeptische Gegenwart glaubt weder an Gott noch an die Humanität, weder an Kronen noch an Sittlichkeit – oder sie glaubt an alles zusammen, was auf das gleiche hinauskommt. Also mußte der Kaufmann, der des Großen so wenig entbehren will wie eines Kompasses, den demokratischen Kunstgriff anwenden, die unmeßbare Wirkung der Größe durch die meßbare Größe der Wirkung zu ersetzen. Groß ist nun, was für groß gilt; allein das heißt, daß letzten Endes auch das groß ist, was durch tüchtige Reklame dafür ausgeschrien wird, und es ist nicht jedermann gegeben, diesen innersten Kern der Zeit ohne Beschwernis zu schlucken, und Arnheim hatte viele Versuche darüber angestellt, wie das zu machen sei.
    Ein gebildeter Mann kann da zum Beispiel an das Verhältnis von Forschung und Kirche im Mittelalter denken. Es mußte sich dazumal der Philosoph mit der Kirche vertragen, wenn er Erfolg haben und das Denken seiner Zeitgenossen beeinflussen wollte, und billiges Freidenkertum könnte darum meinen, daß diese Fesseln seinen Aufstieg zur Größe behindert hätten; aber das Gegenteil war der Fall. Nach der Kundigen Meinung ist bloß eine unvergleichliche gotische Schönheit des Denkens daraus entstanden, und wenn man solche Rücksicht ohne Schaden des Geistes auf die Kirche hatte nehmen können, weshalb sollte man sie nicht auch auf die Reklame nehmen dürfen? Kann, wer wirken will, nicht auch unter dieser Bedingung wirken? Arnheim war überzeugt, daß es ein Zeichen von Größe ist, an seiner eigenen Zeit nicht zuviel Kritik zu üben! Der beste Reiter mit dem besten Pferd kommt, wenn er mit ihm hadert, schlechter über ein Hindernis als ein Reiter, der sich den Bewegungen seines Kleppers anpaßt.
    Ein anderes Beispiel: Goethe! – Er war ein Genie, wie die Erde leicht kein zweites hervorbringen mag, aber er war auch der geadelte Sohn einer deutschen Kaufmannsfamilie und, so wie ihn Arnheim empfand, der allererste Großschriftsteller, den diese Nation hervorgebracht hat. Arnheim nahm sich an ihm in vielem ein Beispiel. Seine Lieblingsgeschichte war aber die bekannte Affäre, wie Goethe, obgleich er heimlich mit ihm sympathisierte, den armen Johann Gottlieb Fichte im Stich ließ, als er in Jena als Philosophieprofessor gemaßregelt wurde, weil er sich »mit Großheit, aber vielleicht nicht ganz gehörig« über Gott und göttliche Dinge geäußert hatte und in seiner Verteidigung »leidenschaftlich zu Werke ging«, statt sich »auf das Gelindeste« herauszuhelfen, wie der weltfähige Dichter-Meister in seinen Memoiren bemerkt. Arnheim würde sich nun nicht nur gerade so verhalten haben wie Goethe, sondern er würde, unter Berufung auf ihn, sogar die Welt zu überzeugen versucht haben, daß es einzig das Goethesche und Bedeutsame sei. Er hätte sich kaum

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