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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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sachlichen Widerlegung sich sofort bösartig an das Wort »sozial« geklammert hatte und dieses in einer neuen Publikation als »materialistisch« und »preußischen Staatsgeist« verdächtigte.
    »Mein lieber Sohn,« schrieb Ulrichs Vater »ich habe zwar sogleich auf die romanische und somit ganz und gar nicht preußische Herkunft der Gedanken der sozialen Rechtsschule hingewiesen, aber das wird gegenüber dieser Denunziation und Verleumdung möglicherweise vergeblich bleiben, die mit infernalischer Gehässigkeit auf den höheren Orts abstoßen müssenden Eindruck spekuliert, der sich mit den Vorstellungen Materialismus und Preußen nur zu leicht verbindet. Das sind keine Vorwürfe mehr, gegen die man sich verteidigen kann, sondern ist die Ausstreuung eines derart unqualifizierbaren Gerüchts, daß man es höheren Orts kaum prüfen wird und die Notwendigkeit, sich damit überhaupt befassen zu müssen, dem unschuldigen Opfer ebenso verübeln kann wie dem gewissenlosen Denunzianten. Der ich im Leben stets alle Hintertreppen verschmäht habe, sehe mich also gezwungen, Dich aufzufordern…« Und so weiter schloß dieser Brief.

112

Arnheim versetzt seinen Vater Samuel unter die Götter und faßt den Beschluß, sich Ulrichs zu bemächtigen. Soliman möchte über seinen königlichen Vater Näheres erfahren
    ARNHEIM HATTE GESCHELLT und ließ Soliman suchen. Es war lange nicht mehr vorgekommen, daß er das Bedürfnis empfand, sich mit ihm zu unterhalten, und der Schlingel trieb sich augenblicklich irgendwo im Hotel umher.
    Es war Ulrichs Widerspruch endlich gelungen, Arnheim zu verletzen.
    Natürlich war es Arnheim niemals entgangen, daß Ulrich gegen ihn arbeite. Ulrich arbeitete selbstlos; er wirkte wie Wasser auf Feuer, Salz auf Zucker; er trachtete Arnheim um die Wirkung zu bringen, beinahe ohne es zu wollen. Arnheim war sicher, daß Ulrich sogar das Vertrauen Diotimas mißbrauchte, um heimlich über ihn ungünstige oder spöttische Bemerkungen zu machen.
    Er gestand sich ein, daß ihm etwas Ähnliches lange nicht widerfahren sei. Die gewöhnliche Methode seiner Erfolge versagte dagegen. Denn die Wirkung eines großen und ganzen Mannes ist wie die der Schönheit: sie verträgt so wenig eine Leugnung, wie man einen Ballon anbohren darf oder einer Statue einen Hut auf den Kopf setzen. Eine schöne Frau wird häßlich, wenn sie nicht gefällt, und ein großer Mann, wenn man ihn nicht beachtet, wird vielleicht etwas Größeres, aber er hört auf, ein großer Mann zu sein. Das gestand sich Arnheim nun allerdings nicht mit diesen Worten ein, aber er dachte: »Ich vertrage keinen Widerspruch, weil nur der Verstand durch Widerspruch gedeiht, und wenn jemand nur Verstand hat, so verachte ich ihn!«
    Arnheim nahm an, daß es ihm nicht schwer fallen würde, seinen Gegner auf irgendeine Weise unschädlich zu machen. Aber er wollte Ulrich gewinnen, beeinflussen, erziehen und seine Bewunderung erzwingen. Um sich das zu erleichtern, hatte er sich eingeredet, daß er ihn mit einem tiefen und widerspruchsvollen Gefallen liebe, und hätte nicht gewußt, womit er es begründen solle. Er hatte von Ulrich nichts zu fürchten und nichts zu erwarten; an Graf Leinsdorf und Sektionschef Tuzzi besaß Arnheim ohnehin keinen Freund, das wußte er, und im übrigen gingen die Dinge, wenn auch etwas langsam, den Gang, den er wünschte. Die Gegenwirkung Ulrichs verschwand vor der Wirkung Arnheims und blieb gleichsam ein unirdischer Einspruch; das einzige, was sie zu vermögen schien, bestand vielleicht darin, daß sie die Entscheidung Diotimas hinausschob, indem sie die Entschlossenheit der wunderbaren Frau ein klein wenig lähmte. Arnheim hatte es vorsichtig bloßgelegt und mußte nun darüber lächeln. Geschah das wehmütig oder boshaft? – solche Unterschiede haben in solchen Fällen nichts auf sich; er hielt es für gerecht, daß seines Gegners Verstandeskritik und Widerspruch, ohne es zu wissen, in seinem Dienst arbeiten mußten; es war ein Sieg der tieferen Sache, eine der wunderbar klaren, sich selbst lösenden Verwicklungen des Lebens. Arnheim fühlte, daß dies die Schicksalschlinge war, die ihn mit dem jüngeren Mann verband und ihn zu Zugeständnissen verleitete, die jener nicht verstand. Denn Ulrich war der Werbung nicht zugänglich; er war wie ein Narr unempfindlich gegen soziale Vorteile und schien das Freundschaftsangebot entweder nicht zu bemerken oder nicht zu würdigen.
    Es gab etwas, das Arnheim Ulrichs Witz nannte. Zum Teil

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