Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
Versöhnendes zu geben.
»Wir glauben Ihnen nicht,« unterbrach Hans sofort diese freundlichere Gestaltung des Gesprächs »daß Sie das ernst meinen können; Sie haben sich das irgendwie angeeignet!«
»Was?! Sie meinen doch das, was man … nicht recht ausdrücken kann?« fragte Ulrich, der sofort begriff, daß sich Hansens Unverschämtheit auf das bezog, was er mit Gerda unter vier Augen gesprochen hatte.
»Oh, man kann es sehr gut ausdrücken, wenn man es ernst meint!«
»Mir will es nicht gelingen. Aber ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen.«
»Schon wieder eine Geschichte! Sie erzählen, scheint es, Geschichten wie der Vater Homer!« rief Hans noch unverschämter und selbstbewußter aus. Gerda sah ihn bittend an. Aber Ulrich ließ es sich nicht anfechten und fuhr fort. »Ich war einmal sehr verliebt; ich mag ungefähr ebenso alt gewesen sein, wie Sie es jetzt sind. Ich war eigentlich in meine Liebe damals verliebt, in meinen veränderten Zustand, weniger in die Frau, die dazu gehörte; damals habe ich alles das kennen gelernt, woraus Sie, Ihre Freunde und Gerda Ihre großen Geheimnisse machen. Das ist die Geschichte, die ich Ihnen erzählen wollte.«
Die beiden waren davon verblüfft, daß die Geschichte so kurz ausfiel. Gerda fragte zögernd: »Sie waren einmal sehr verliebt…?« und ärgerte sich im gleichen Augenblick darüber, daß sie so vor Hans mit der gruseligen Neugier eines jungen Mädchens fragte.
Aber Hans unterbrach. »Was sollen wir von solchen Sachen überhaupt sprechen! Erzählen Sie uns lieber, was Ihre, in die Hände geistiger Bankerottierer gefallene Kusine treibt?«
»Sie sucht eine Idee, in der sich der Geist unserer Heimat vor aller Welt herrlich darstellen soll. Wollen Sie ihr nicht mit einem Vorschlag zu Hilfe kommen? Ich bin durchaus bereit, den Vermittler zu machen« erwiderte Ulrich.
Hans lachte höhnisch auf. »Warum tun Sie, als wüßten Sie nicht, daß wir dieses Unternehmen stören werden!«
»Ja warum sind Sie eigentlich so sehr dagegen aufgebracht?«
»Weil es eine große, gegen das deutsche Wesen in diesem Staat geplante Niedertracht darstellt!« sagte Hans. »Wissen Sie wirklich nicht, daß eine aussichtsreiche Gegenbewegung im Werden ist? Man hat den deutschen Nationalverband auf die Absichten Ihres Grafen Leinsdorf aufmerksam gemacht. Die Turnerschaft hat gegen die Verletzung des deutschen Geistes bereits Verwahrung eingelegt: Das Kartell waffentragender Verbindungen an den österreichischen Hochschulen wird dieser Tage gegen die angedrohte Verslawung Stellung nehmen, und der Bund deutscher Jugend, dem ich angehöre, wird nicht ruhen, selbst wenn wir auf die Straße gehen müßten!« Hans hatte sich aufgerichtet und erzählte das einigermaßen mit Stolz. Trotzdem fügte er hinzu: »Aber auf alles das kommt es ja freilich nicht an! Diese Leute überschätzen die äußeren Bedingungen. Das Entscheidende ist, daß hier überhaupt nichts gelingen kann!«
Ulrich fragte nach dem Grund. – Die großen Rassen hätten sich alle schon zu Beginn ihren Mythos geschaffen; ob es etwa einen österreichischen Mythos gebe? fragte Hans dem entgegen. Eine österreichische Urreligion? ein Epos? Weder die katholische noch die evangelische Religion sei hier entstanden; die Buchdruckerkunst und die Überlieferungen der Malerei seien aus Deutschland gekommen; das Herrscherhaus habe die Schweiz, Spanien, Luxemburg geliefert; die Technik England und Deutschland; die schönsten Städte, Wien, Prag, Salzburg seien von Italienern und Deutschen erbaut, das Militärwesen nach dem Muster Napoleons eingerichtet worden: Ein solcher Staat solle nichts Eigenes unternehmen wollen; für ihn gebe es überhaupt nur eine Rettung und das sei der Anschluß an Deutschland. – »So nun wissen Sie wohl alles, was Sie von uns hatten erfahren wollen!« schloß Hans.
Gerda war es nicht klar, ob sie auf ihn stolz sein oder sich schämen solle. Ihre Neigung für Ulrich war in der letzten Zeit wieder lebhaft erwacht, wenn auch der so menschliche Wunsch, selbst eine Rolle zu spielen, durch den jüngeren Freund viel besser befriedigt wurde. Das Merkwürdige war, daß dieses junge Mädchen von den zwei einander widersprechenden Neigungen verwirrt wurde, ein altes Fräulein zu werden und sich Ulrich hinzugeben. Diese zweite Neigung war die natürliche Folge der Liebe, die sie schon seit Jahren empfand, einer Liebe allerdings, die nicht zum Flammen kam, sondern mutlos in ihr glühte; und ihre Empfindungen waren
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