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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Daß er so hartnäckig an der Kampfstellung des Kindes festhielt, mochte seine Ursache in frühen Selbständigkeitsbedürfnissen haben; in der Hauptsache kam es aber davon, daß die Sprache der Jugendbewegung, die damals in Schwang gekommen, die erste Sprache war, die seiner Seele zum Wort verhalf und, wie es eine rechte Sprache tun muß, von einem Wort zum andern führte und in jedem mehr sagte, als man eigentlich wußte. So entfaltete auch der Satz, wir alle sollten Kinder sein, die wichtigsten Erkenntnisse. Denn das Kind soll nicht sein Wesen verkehren und ablegen, um Vater und Mutter zu werden; es geschieht das nur, um »Bürger« zu sein, Sklave der Welt, gebunden und »gezweckt«. So ist es recht das Bürgerliche, was alt macht, und das Kind wehrt sich dagegen, zum Bürger gemacht zu werden: wodurch die Schwierigkeit, daß man sich nicht mit einundzwanzig Jahren wie ein Kind gehaben dürfe, weggeblasen ist, denn dieser Kampf dauert von der Geburt bis zum Greisenalter und findet seine Beendigung erst in der Zerstörung der bürgerlichen Welt durch die Welt der Liebe. Das war sozusagen die höhere Stufe von Hans Seppens Lehre, und alles das hatte Ulrich im Lauf der Zeit von Gerda erfahren.
    Er war es, der einen Zusammenhang zwischen dem, was diese jungen Leute ihre Liebe, mit einem anderen Wort auch die Gemeinschaft nannten, und den Folgen eines sonderbaren, wildreligiösen, unmythologisch mythischen oder vielleicht doch nur einfach verliebten Zustands entdeckt hatte, der ihm naheging, ohne daß sie es wußten, weil er sich darauf beschränkte, seine Spuren in ihnen lächerlich zu machen. In dieser Weise ging er auch jetzt auf Hans ein und fragte ihn unmittelbar, warum er nicht den Versuch machen wolle, die Parallelaktion zur Förderung der »Gemeinschaft der vollendet Ichlosen« zu benützen?
    »Weil das nicht angeht!« erwiderte Hans.
    Es ergab sich daraus ein Gespräch zwischen den beiden, das auf einen Fernstehenden einen sonderbaren Eindruck gemacht haben müßte, nicht unähnlich der Unterhaltung in einem Verbrecherjargon, obwohl dieser kein anderer war als eben die Mischsprache weltlich-geistlicher Verliebtheit. Es ist darum vorzuziehen, diese Unterredung mehr dem Sinn nach wiederzugeben als in ihrem Wortlaut: die Gemeinschaft der vollendet Ichlosen, das war ein von Hans entdecktes Wort, es ist aber trotzdem zu verstehen, denn je selbstloser sich ein Mensch fühlt, desto heller und stärker werden die Dinge der Welt, je leichter er sich macht, desto mehr fühlt er sich gehoben, und Erfahrungen von solcher Art kennt wohl jeder; man darf sie bloß nicht mit Fröhlichkeit, Heiterkeit, Sorglosigkeit oder dergleichen verwechseln, denn das sind nur ihre Ersätze für den niederen Gebrauch, wenn nicht gar für den verdorbenen. Vielleicht sollte man den echten Zustand überhaupt nicht Gehobenheit nennen, sondern Entpanzerung; Entpanzerung des Ich, so erklärte es Hans. Man müsse zwischen zwei Umwallungen des Menschen trennen. Die eine wird schon dann jedesmal überstiegen, wenn er etwas Gutes und Uneigennütziges tut, aber das ist nur die kleine Mauer. Die große besteht in der Selbsthaftigkeit noch des selbstlosesten Menschen; das ist schlechtweg die Erbsünde; jeder Sinneseindruck, jedes Gefühl, selbst das der Hingabe, ist in unserer Ausführung mehr ein Nehmen als ein Geben, und diesem Panzer von Durchtränkung mit Eigensucht kann man kaum in irgendeiner Weise entrinnen. Hans zählte auf: So ist Wissen nichts als An-Eignung einer fremden Sache; man tötet, zerreißt und verdaut sie wie ein Tier. Begriff, das reglos gewordene Getötete. Überzeugung, die nicht mehr veränderliche erkaltete Beziehung. Forschung gleich fest Stellen. Charakter gleich Trägheit, sich zu wandeln. Kenntnis eines Menschen soviel wie nicht mehr von ihm bewegt werden. Einsicht eine Sicht. Wahrheit der erfolgreiche Versuch, sachlich und unmenschlich zu denken. In allen diesen Beziehungen ist Tötung, Frost, ein Verlangen nach Eigentum und Erstarren und ein Gemisch von Eigensucht mit einer sachlichen, feigen, heimtückischen, unechten Selbstlosigkeit! »Und wann wäre« fragte Hans, obgleich er nur die unschuldige Gerda kannte, »die Liebe selbst etwas anderes als der Wunsch nach Besitz oder Hingabe auf Gegenrechnung?!«
    Ulrich stimmte diesen nicht ganz einheitlichen Behauptungen vorsichtig und abändernd bei. Es sei richtig, daß auch das Erleiden und Sichentäußern einen Sparpfennig für uns selbst übriglasse; ein blasser, sozusagen

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