Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
Gespräch über diesen Mörder behauptet habe, man besitze eine zweite Seele, die immer unschuldig sei, und ein zurechnungsfähiger Mensch könne immer auch anders, der unzurechnungsfähige aber nie; sie zog irgendetwas Ähnliches daraus wie den Schluß, daß sie unzurechnungsfähig sein wolle und dann unschuldig sein werde, ein Zustand, der auch Ulrich abging und ihm zu seinem Heil zu bringen war. – So gut gekleidet, als wolle sie in Gesellschaft, streifte sie, um das auszuführen, durch mehrere Abende vor den Fenstern Diotimas umher und brauchte nicht lange zu warten, bis diese, zum Zeichen innerer Tätigkeit, über die ganze Front erleuchtet waren. Ihrem Mann hatte sie erzählt, daß sie eingeladen sei, aber niemals lange bleibe; und während weniger Tage, wo es ihr noch an Mut fehlte, entstand durch dieses Lügen, durch dieses abendliche Auf- und Abgehen vor einem Haus, wohin sie nicht gehörte, ein wachsender Auftrieb, der sie bald die Treppen hinan führen sollte. Sie konnte von Bekannten gesehen, von ihrem zufällig vorbeikommenden Gatten beobachtet werden; sie konnte dem Hausmeister auffallen, ein Schutzmann vermochte auf den Einfall zu kommen, sie auszufragen: je öfter sich ihr Spaziergang wiederholte, desto größer erschienen ihr diese Gefahren, und desto wahrscheinlicher wurde es, daß sich einmal ein Zwischenfall ereignen werde, wenn sie noch lange zögere. Nun, Bonadea war nicht gerade selten in Tore gehuscht oder auf Wegen gegangen, wo sie nicht gesehen werden wollte, aber da hatte sie wie einen Schutzengel das Bewußtsein auf ihrer Seite gehabt, es gehöre unvermeidlich zu dem, was sie erreichen wolle, während sie diesmal in ein Haus eindringen sollte, wo sie nicht erwartet wurde und das, was ihr bevorstand, ungewiß war; es wurde ihr zumute wie einer Attentäterin, die sich die ganze Sache anfangs nicht so genau vorgestellt hat, aber durch die Nachhilfe der Umstände in den Zustand gehoben wird, wo der Knall einer Pistole, das Blitzen durch die Luft fliegender Salzsäuretropfen kaum mehr eine Erhöhung bedeutet.
    Bonadea hatte keine solchen Absichten, aber sie befand sich in ähnlicher Abgeschiedenheit des Geistes, als sie endlich wirklich die Klingel drückte und eintrat. Die kleine Rachel hatte sich unauffällig Ulrich genähert und ihm gemeldet, daß man ihn draußen zu sprechen wünsche, ohne zu verraten, daß »man« eine fremde, tief verschleierte Dame sei, und als sie hinter ihm die Türe des Salons schloß, schlug Bonadea den Schleier von ihrem Antlitz zurück. Sie war in diesem Augenblick fest davon überzeugt, daß Moosbruggers Schicksal keinen Aufschub mehr dulde, und empfing Ulrich nicht wie eine von Eifersucht geplagte Geliebte, sondern atemlos wie ein Marathonläufer. Mühelos erlog sie die Ergänzung, daß ihr Mann ihr gestern mitgeteilt habe, an Moosbrugger werde bald nichts mehr zu retten sein. »Ich hasse nichts so sehr« schloß sie »wie diese obszöne Art von Mördern; aber ich habe mich trotzdem der Wahrscheinlichkeit ausgesetzt, hier als Eindringling empfunden zu werden, weil du jetzt sogleich zu der Dame des Hauses und den einflußreichsten Gästen zurückgehen und deine Angelegenheit zur Sprache bringen mußt, wenn du noch etwas erreichen willst!« Sie wußte nicht, was sie erwartete. Daß Ulrich gerührt danken, daß er Diotima herausrufen, daß Diotima sich mit ihr und ihm in ein abgelegenes Zimmer zurückziehen werde? Daß Diotima vielleicht schon durch den Laut der Stimmen ins Vorzimmer gelockt werde, wobei sie ihr wohl zu verstehen geben wollte, daß sie, Bonadea, nicht die Unberufenste sei, um sich Ulrichs edler Gefühle anzunehmen! Ihre Augen blitzten feucht, und ihre Hände zitterten. Sie sprach laut. Ulrich befand sich in großer Verlegenheit und lächelte andauernd, als verzweifeltes Mittel, um sie zu beruhigen und Zeit für die Überlegung zu gewinnen, wie er sie davon überzeugen könne, daß sie so rasch wie möglich fortgehen müsse. Die Lage war schwierig und hätte vielleicht auch mit einem Schrei- oder Weinkrampf Bonadeas enden können, wenn nicht Rachel zu Hilfe gekommen wäre. Die kleine Rachel hatte die ganze Zeit über mit glänzenden, weit aufgerissenen Augen nicht weit von den beiden gestanden. Sie hatte gleich einen abenteuerlichen Zusammenhang erraten, wie die fremde schöne, am ganzen Körper unruhige Dame Ulrich zu sprechen verlangt hatte. Sie hörte das Gespräch zum größeren Teil mit an, und der Name Moosbruggers fiel mit seinen Silben in

Weitere Kostenlose Bücher