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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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ihr Ohr wie Schüsse. Die von Kummer, Verlangen und Eifersucht in mächtige Schwingungen versetzte Damenstimme riß sie mit, obgleich sie diese Gefühle nicht verstand. Sie erriet, daß diese Frau die Geliebte Ulrichs sei, und war augenblicklich doppelt so stark in ihn verliebt als sonst. Sie fühlte sich zu einer Tat hingerissen, so als ob aus ganzer Brust gesungen würde und sie müßte einstimmen. Und so öffnete sie mit einem um Verschwiegenheit bittenden Blick eine Türe und lud die beiden ein, in das einzige von der Gesellschaft nicht benützte Zimmer einzutreten. Es war die erste offenkundige Untreue gegen ihre Herrin, die sie beging, denn sie konnte nicht im Zweifel sein, wie eine Entdeckung aufgenommen werden würde; aber die Welt war so schön, und herrliche Aufregung ist ein so unordentlicher Zustand, daß sie nicht dazu kam, sich das zu überlegen.
    Als das Licht aufflammte und Bonadeas Augen allmählich sahen, wo sie sich befand, hätten ihre Beine beinahe die Kraft verloren, sie zu tragen, und die Röte der Eifersucht stieg ihr in die Wangen, denn es war Diotimas Schlafzimmer, worin sie sich umsah; Strümpfe, Haarbürsten und vieles andere lag umher, was zurückbleibt, wenn eine Frau sich eilig von Kopf zu Fuß für eine Gesellschaft umkleidet und das Mädchen keine Zeit mehr hat aufzuräumen oder das unterläßt, wie in diesem Fall, weil am nächsten Morgen ohnehin alles gründlich gemacht werden soll; denn an den großen Festabenden mußte auch das Schlafzimmer als Möbelspeicher herhalten, um die übrigen Räume zu entleeren. Die Luft roch nach diesen eng aneinandergerückten Möbeln, nach Puder, Seife und Essenzen. »Die Kleine hat eine Dummheit gemacht; wir können hier nicht bleiben!« sagte Ulrich lachend. »Überhaupt, du hättest nicht kommen sollen, es läßt sich ja doch nichts für Moosbrugger tun.«
    »Ich hätte mich nicht herbemühen sollen, sagst du?« wiederholte Bonadea fast stimmlos. Ihre Augen irrten umher. Wie wäre das Mädchen, fragte sie sich gequält, auf den Einfall gekommen, Ulrich ins Innerste des Hauses zu führen, wenn es das nicht gewöhnt wäre?! Sie brachte es aber nicht über sich, ihm diesen Beweis vorzuhalten, sondern sagte lieber mit tonlosem Vorwurf: »Du bringst es über dich, ruhig zu schlafen, wenn solches Unrecht geschieht? Ich schlafe nächtelang nicht, und darum habe ich mich entschlossen, dich zu suchen!« Sie hatte dem Zimmer den Rücken gekehrt, stand am Fenster und starrte in die spiegelnde Undurchsichtigkeit, die von außen an ihre Augen herantrat. Das mochten Baumkronen sein, oder die Tiefe eines Hofs. Soweit, um zu wissen, daß dieses Zimmer nicht auf die Straße sehe, kannte sie sich trotz ihrer Aufregung in der Örtlichkeit aus; man mochte von anderen Fenstern hereinblicken können, und wenn sie sich vergegenwärtigte, daß sie nun also gemeinsam mit ihrem ungetreuen Geliebten, bei auf gezogenen Vorhängen vom Licht bestrahlt, vor einem unbekannten dunkeln Zuschauerraum im Schlafzimmer ihrer Nebenbuhlerin stehe, so erregte sie das sehr. Sie hatte den Hut abgenommen und den Mantel zurückgeschlagen, ihre Stirn und die warmen Spitzen ihrer Brüste berührten die kalten Fensterscheiben; Zärtlichkeit und Tränen feuchteten ihre Augen. Sie machte sich langsam los und wandte sich wieder ihrem Freund zu, aber etwas von dem weichen, nachgiebigen Schwarz, in das sie geblickt hatte, blieb in ihren Augen, die jetzt eine unbewußte Tiefe hatten. »Ulrich!« sagte sie eindringlich »Du bist nicht schlecht! Du stellst dich nur so! Du machst dir Schwierigkeiten, gut zu sein, so viel du nur kannst!«
    Die Lage wurde durch diese unverhältnismäßig klugen Worte Bonadeas von neuem gefährlich; das war einmal nicht die lächerliche Sehnsucht solcher von ihrem Körper beherrschten Frau nach Trost in geistiger Vornehmheit; sondern da sprach die Schönheit dieses Körpers selbst ihr Recht auf die sanfte Würde der Liebe aus. Er trat neben sie und legte ihr den Arm um die Schulter; sie hatten sich wieder dem Dunkel zugekehrt und sahen gemeinsam hinaus. In der scheinbar unbegrenzten Finsternis hatte sich ein wenig Licht, das aus dem Haus kam, aufgelöst, und das sah aus, wie wenn dicker Nebel die Luft mit seiner Weichheit ausfüllte. Aus irgendeinem Grund hatte Ulrich auf das stärkste den Eindruck, in eine mildkalte Oktobernacht hinauszustarren, obgleich es Spätwinter war, und es kam ihm vor, die Stadt sei in sie eingehüllt wie in eine ungeheure Wolldecke. Dann fiel ihm

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