Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
Weltjahr ist ja sehr schön, aber ich möchte sagen, alles, was ein Symbol ist, muß nach und nach etwas Wahres werden; das heißt, solange es ein Symbol ist, lasse ich mein Gemüt davon erregen und weiß noch gar nichts, aber später wende ich mich von dem Spiegel des Gemüts ab und tue etwas ganz anderes, was inzwischen meine Billigung gefunden hat. Ist es verständlich, was ich damit ausdrücken will? Unsere liebe gnädige Frau gibt sich die erdenklichste Mühe, und es wird hier schon monatelang über die wirklich wissenswertesten Sachen geredet, aber die Beteiligung läßt trotzdem nach, und ich habe das Gefühl, daß wir uns bald für etwas entschließen werden müssen; ich weiß nicht für was, vielleicht für einen zweiten Turm an der Stefanskirche oder für eine kaiser- und königliche Kolonie in Afrika, das ist ziemlich gleichgültig. Denn ich bin überzeugt, daß dann vielleicht im letzten Moment noch etwas ganz anderes daraus wird: die Hauptsache ist, daß man die Erfindungsgabe der Beteiligten sozusagen rechtzeitig ins Geschirr nehmen muß, damit sie sich nicht verliert!«
Graf Leinsdorf hatte das Gefühl, nützlich gesprochen zu haben. Zur Erwiderung nahm für die anderen Arnheim das Wort. »Was Sie über die Notwendigkeit sagen, in gewissen Augenblicken das Nachdenken durch ein Handeln zu befruchten, und sei es auch nur ein vorläufiges, ist außerordentlich lebenswahr! Und in diesem Zusammenhang ist es tatsächlich von Bedeutung, daß in dem geistigen Kreis, der hier zusammenkommt, seit einiger Zeit eine veränderte Stimmung herrscht. Die Unübersichtlichkeit, unter der man anfänglich litt, ist verschwunden; es tauchen beinahe keine neuen Vorschläge mehr auf, und die älteren finden kaum noch Erwähnung, jedenfalls keine persistierende Verteidigung. Es macht den Eindruck, daß auf allen Seiten das Bewußtsein erwacht ist, durch die Annahme der Einladung die Verpflichtung auf sich genommen zu haben, zu einer Übereinstimmung zu kommen, so daß nun jeder einigermaßen annehmbare Vorschlag Aussicht hätte, allgemein gebilligt zu werden.«
»Lieber Doktor, wie ist das bei uns?« wandte sich Se. Erlaucht an Ulrich, den er inzwischen bemerkt hatte. »Tritt da auch schon eine Klärung ein?«
Ulrich mußte es verneinen. Der schriftliche Meinungsaustausch läßt sich viel genußvoller in die Länge ziehn als der persönliche, und auch der Einlauf an Verbesserungsvorschlägen schwoll nicht ab; so gründete er noch immer Vereine und wies sie im Namen Sr. Erlaucht an die verschiedenen Ministerien, deren Bereitwilligkeit, sich mit ihnen zu beschäftigen, in letzter Zeit allerdings merklich nachgelassen hatte. Das berichtete er.
»Kein Wunder!« meinte Se. Erlaucht, zu den Anwesenden gewandt. »Es steckt unglaublich viel Staatsgesinnung in unserem Volk; aber man müßte so gebildet sein wie ein Konversationslexikon, um sie nach allen Richtungen befriedigen zu können, in denen sie sich äußert. Es wird den Ministern einfach zuviel, und das beweist auch, daß der Zeitpunkt kommt, wo wir von oben eingreifen müssen.«
»In diesem Zusammenhang« nahm Arnheim abermals das Wort »dürfte es Ew. Erlaucht bemerkenswert erscheinen, daß Herr General von Stumm zuletzt in steigendem Maße die Aufmerksamkeit der Konferenzteilnehmer erregt hat.«
Graf Leinsdorf sah zum erstenmal den General an. »Womit denn?« fragte er und gab sich gar keine Mühe, die Unhöflichkeit dieser Frage zu verbergen.
»Aber das ist mir nur peinlich! Das war ganz und gar nicht meine Absicht!« wehrte Stumm von Bordwehr schamhaft ab. »Dem Soldaten ist im Konferenzzimmer nur eine bescheidene Aufgabe angemessen, und ich halte etwas auf dieses Wort. Aber Erlaucht erinnern sich, daß ich gleich in der ersten Sitzung und sozusagen nur in Erfüllung meiner soldatischen Pflicht, darum gebeten habe, daß der Ausschuß zur Fassung einer besonderen Idee, wenn ihm nichts anderes einfällt, daran denken möge, daß unsere Artillerie keine modernen Geschütze hat und daß auch unsere Marine keine Schiffe hat, das heißt, nicht genug Schiffe für die Aufgaben einer etwa bevorstehenden Landesverteidigung…«
»Und –?« unterbrach Se. Erlaucht und richtete einen erstaunt fragenden Blick auf Diotima, der unverhohlen sein Mißvergnügen zu erkennen gab.
Diotima hob die schönen Schultern und ließ sie entsagungsvoll sinken; sie hatte sich fast schon daran gewöhnt, daß der runde kleine General, von unbegreiflichen helfenden Kräften gelenkt, wie ein
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