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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Offiziersdiener führen!«
    Der General hatte das wohl doch zu breit ausgesponnen; durch das dünne Gewebe des Scherzes setzte sich mit einemmal wieder der bedrohliche Ernst des Zustandes durch, in dem sich die Parallelaktion befand. Se. Erlaucht sagte nachdenklich: »Im Lauf der Zeit …«, besann sich aber dann darauf, daß es klüger ist, in schwierigen Lagen die anderen reden zu lassen, und führte den Satz nicht zu Ende. Die sechs Menschen schwiegen einen Augenblick, als stünden sie um ein Brunnenloch und blickten hinein.
    Diotima sagte: »Nein, das ist unmöglich!«
    »Was?« fragten die Blicke aller.
    »Damit würden wir das tun, was man Deutschland vorwirft: Aufrüsten!« beendete sie ihren Satz. Ihre Seele hatte die Anekdoten überhört oder vergessen und war noch bei des Generals Erfolg stehen geblieben.
    »Aber was soll geschehn?« fragte Graf Leinsdorf dankbar und bekümmert. »Wir müssen doch wenigstens etwas Vorläufiges finden!«
    »Deutschland ist ein verhältnismäßig naives, von Kraft strotzendes Land« sagte Arnheim, als müßte er dem Vorwurf seiner Freundin mit einer Entschuldigung begegnen. »Man hat ihm das Schießpulver und den Schnaps gebracht.«
    Tuzzi lächelte zu diesem Gleichnis, das ihm mehr als kühn vorkam.
    »Es läßt sich nicht leugnen, daß Deutschland in den Kreisen, die von unserer Aktion erfaßt werden sollen, einer wachsenden Abneigung begegnet.« Graf Leinsdorf ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, diese Bemerkung einzuflechten. »Leider sogar auch in den Kreisen, die schon erfaßt sind!« fügte er mirakulös hinzu.
    Er war überrascht, als ihm Arnheim erklärte, daß ihn das nicht wundere. »Wir Deutschen« entgegnete dieser »sind ein unseliges Volk; wir wohnen nicht nur im Herzen Europas, sondern wir leiden auch als dieses Herz …«
    »Herz?« fragte Se. Erlaucht unwillkürlich. Er hätte Gehirn statt Herz erwartet und würde das auch lieber zugestanden haben. Aber Arnheim beharrte auf Herz. »Erinnern Sie sich,« fragte er »daß vor nicht langer Zeit die Gemeindeverwaltung von Prag eine große Bestellung nach Frankreich vergeben hat, obgleich wir selbstverständlich auch ein Angebot gemacht hatten und besser und billiger geliefert hätten. Das ist einfach gefühlsmäßige Abneigung. Und ich muß sagen, daß ich sie vollkommen begreife.«
    Ehe er noch weiterreden konnte, meldete sich erfreut Stumm von Bordwehr zum Wort und erklärte das. »In der ganzen Welt plagen sich die Menschen, aber in Deutschland noch mehr« sagte er. »In der ganzen Welt machen sie heute Lärm, aber in Deutschland am meisten. Überall hat das Geschäft den Zusammenhang mit der tausendjährigen Kultur verloren, aber im Reich am ärgsten. Überall steckt man die beste Jugend natürlich in die Kasernen, aber die Deutschen haben noch mehr Kasernen als alle anderen. Und darum ist es in gewissem Sinn für uns eine Bruderpflicht,« schloß er »nicht zu weit hinter Deutschland zurückzustehen. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich paradox sein sollte, aber der Intellekt hat eben heute solche Verwicklungen!«
    Arnheim nickte zustimmend. »Vielleicht ist Amerika noch schlimmer als wir,« fügte er hinzu »aber es ist das wenigstens völlig naiv, ohne unsere geistige Zerrissenheit. Wir sind in jeder Hinsicht das Volk der Mitte, wo alle Motive der Welt sich kreuzen. Bei uns ist die Synthese am dringendsten. Wir wissen es. Wir haben eine Art Sündenbewußtsein. Aber indem ich das gleich zu Anfang vorausgeschickt habe, verlangt die Gerechtigkeit auch das Zugeständnis, daß wir für die anderen leiden, ihre Fehler gleichsam als Vorbild auf uns nehmen, in gewissem Sinn für die Welt gelästert oder gekreuzigt werden, oder wie man das ausdrücken will. Und eine Umkehr Deutschlands wäre wohl das Bedeutendste, was sich ereignen könnte. Ich vermute, daß in der geteilten und, wie es scheint, etwas leidenschaftlichen Stellungnahme gegen uns, von der Sie sprachen, eine Ahnung davon enthalten ist!«
    Nun mischte sich auch Ulrich ein. »Die Herren unterschätzen die deutschlandfreundlichen Strömungen. Ich habe verläßlich die Nachricht, daß in allernächster Zeit eine heftige Kundgebung gegen unsere Aktion losbrechen wird, weil sie in heimatlichen Kreisen für deutschfeindlich gilt. Erlaucht werden das Volk von Wien auf der Straße sehn. Man wird gegen die Berufung des Barons Wisnieczky auftreten. Man nimmt an, daß die Herren Tuzzi und Arnheim in heimlichem Einvernehmen stehen, Erlaucht aber den deutschen

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