Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
Angsttraum überall auftauchte ‚wohin sie sich wandte.
»Und da sind« fuhr Stumm von Bordwehr eilends fort, um nicht von seiner Bescheidenheit angesichts des Erfolges überwältigt zu werden »eben in der letzten Zeit Stimmen laut geworden, die das befürworten würden, wenn jemand mit einem solchen Vorschlag den Anfang machen wollte. Man hat eben gesagt, daß das Heer und die Marine ein gemeinsamer Gedanke wäre und ein großer Gedanke ja schließlich auch, und wahrscheinlich würde man auch Sr. Majestät eine Freude damit bereiten. Und die Preußen würden Augen machen – ich bitte um Entschuldigung, Herr von Arnheim!«
»Ach nein, die Preußen würden keine betroffenen Augen machen« wehrte Arnheim lächelnd ab. »Im übrigen versteht es sich von selbst, daß ich, wenn von solchen österreichischen Angelegenheiten die Rede ist, gar nicht anwesend bin und nur mit äußerster Bescheidenheit von der Erlaubnis Gebrauch mache, trotzdem zuhören zu dürfen.«
»Also jedenfalls,« schloß der General »es sind in der Tat Stimmen laut geworden, die es als das Einfachste bezeichnet haben, wenn man nicht mehr lang hin und her reden würde, sondern sich für ein militärisches Vorhaben entschlösse. Ich persönlich möchte ja meinen, daß man das noch mit einer zweiten, vielleicht irgendeiner großen Zivilidee verbinden könnte; aber wie gesagt, der Soldat soll nicht dreinreden, und die Stimmen, die gesagt haben, daß durch das zivile Nachdenken doch nichts Besseres herauskommen wird, sind gerade von höchster geistiger Seite laut geworden.«
Se. Erlaucht hatte zuletzt mit reglos geöffneten Augen zugehört, und nur unwillkürliche Ansätze zum Daumendrehen, deren er sich nicht enthalten konnte, verrieten die angestrengte und peinliche Arbeit seines Inneren.
Sektionschef Tuzzi, den man nicht gewohnt war zu hören, schaltete langsam und leise ein: »Ich glaube nicht, daß der Minister des Äußeren etwas dagegen einzuwenden hätte!«
»Ach, die Ressorts haben sich wohl schon verständigt?!« fragte Graf Leinsdorf ironisch und gereizt. Tuzzi gab mit liebenswürdigem Gleichmut zur Antwort: »Erlaucht scherzen über die Ressorts. Das Kriegsministerium würde eher die Weltabrüstung begrüßen, als sich mit dem Ministerium des Äußern ins Einvernehmen zu setzen!« Und dann erzählte er weiter: »Erlaucht kennen doch die Geschichte von den Befestigungsanlagen in Südtirol, die in den letzten zehn Jahren auf Betreiben des Generalstabschefs hergestellt worden sind? Sie sollen tadellos und das Neueste in der Ausführung sein. Natürlich hat man sie auch mit elektrisch geladenen Hindernissen und großen Scheinwerferanlagen ausgestattet, und zu deren Belieferung mit Strom sind sogar versenkte Dieselmotoren eingebaut worden; man kann nicht sagen, daß wir hinter irgendwas zurückstehn. Das Unglück ist nur, daß die Motoren durch die Artillerieabteilung bestellt worden sind, und das Brennmaterial liefert die Bauabteilung des Kriegsministeriums; das ist so nach der Vorschrift, und darum kann man die Anlagen nicht in Betrieb setzen, weil sich die beiden Abteilungen nicht darüber einigen können, ob das Zündholz, das man beim Anlaufenlassen braucht, als Brennmaterial aufzufassen und von der Bauabteilung beizustellen ist, oder ob es als Motorzubehör aufzufassen ist und in den Wirkungskreis der Artillerie gehört.
»Reizend!« sagte Arnheim, obgleich er wußte, daß Tuzzi den Dieselmotor mit einem Gasmotor verwechselte und selbst bei einem solchen Zündflammen längst nicht mehr verwendet wurden; es war eine jener Geschichten, wie sie in den Büros kreisen, voll von liebenswürdiger Selbstironie, und der Sektionschef hatte sie mit einer Stimme vorgetragen, die dem Malheur, das sie berichtete, erfreut nachging. Alle lächelten oder lachten, General Stumm war am fröhlichsten. »Daran sind aber nur die Herren von der Zivilregierung schuld« spann er den Scherz weiter; »denn wenn wir etwas anschaffen, wofür im Budget nicht die richtige Deckung ist, so sagt uns das Finanzministerium sofort, daß wir von einer konstitutionellen Regierungsweise nichts verstehen. Sollte darum, was Gott verhüten möge, vor Ablauf des Budgetjahres ein Krieg ausbrechen, so müßten wir gleich am ersten Mobilisierungstag bei Sonnenaufgang die Festungskommandanten telegraphisch ermächtigen, Zündhölzer einzukaufen, und wenn ihnen das in ihren Bergnestern nicht gelingt, bleibt nichts anderes übrig, als daß sie den Krieg mit den Streichhölzern ihrer
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