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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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jedesmal eine andere Lage hat und immer wieder den gleichen Weg zurücklegt: »Das erlaubt die Rücksicht auf die Kirche nicht. Das erlaubt die Rücksicht auf die Freidenker nicht. Dagegen hat sich der Zentralverein der Architekten gewehrt. Dagegen hat das Finanzministerium Bedenken.« Es ging ohne Ende in der gleichen Weise weiter.
    Ulrich, der sich nicht daran beteiligte, fand sich in einem Zustand, als ob die fünf Personen, die da sprachen, soeben aus einer flüssigen Trübung herauskristallisiert wären, die seine Sinne seit Monaten umfangen gehalten hatte. Was sollte es heißen, daß er zu Diotima gesagt hatte, man müsse sich der Unwirklichkeit bemächtigen, oder ein andermal, man solle die Wirklichkeit abschaffen?! Da saß sie nun, hatte solche Sätze in der Erinnerung und mochte allerhand von ihm denken. Und wie war er dazu gekommen, ihr zu erzählen, daß man wie eine Figur auf einer Buchseite leben sollte? Er nahm an, daß sie das längst schon Arnheim weitererzählt haben werde!
    Er nahm aber auch an, daß er so gut wie jeder andere Mensch wisse, wieviel Uhr es sei oder was ein Regenschirm koste! Wenn er trotzdem in diesem Augenblick seinen Standpunkt zwischen sich und den anderen hatte, gleich weit von da und dort, so war dies nicht in die Form einer Wunderlichkeit gekleidet, wie sie ein gedämpfter und abwesender Bewußtseinszustand mit sich bringen mag, sondern er empfand im Gegenteil wieder jene in sein Leben eindringende Helle, die er schon zuvor in Bonadeas Gegenwart wahrgenommen hatte. Er erinnerte sich, wie er, vor gar nicht langer Zeit, im Herbst mit Tuzzis auf der Rennbahn gewesen war, als es einen Zwischenfall mit großen verdächtigen Wettverlusten gab und aus friedlichen Zuschauermassen im Nu eine See wurde, die in den Platz flutete und nicht nur alles, was in ihrem Bereich war, zerstörte, sondern auch die Kassen plünderte, ehe sie sich unter dem Einfluß der Polizei wieder zu einer Versammlung von Menschen zurückbildete, die einem harmlosen und gewohnten Vergnügen beiwohnen wollen. Angesichts solcher Geschehnisse war es lächerlich, an Gleichnisse und verschwimmende Grenzformen zu denken, die möglicher- oder auch unmöglicherweise das Leben annehmen könnte. Ulrich fühlte ein unbeschädigtes Verständnis dafür in sich, daß das Leben ein derber und notvoller Zustand sei, worin man nicht zu viel an das Morgen denken dürfe, weil man genug Mühe mit dem Heute hat. Wie könnte man übersehen, daß die Menschenwelt nichts Schwebendes ist, sondern nach gedrungenster Festigkeit verlangt, weil sie bei jeder Unregelmäßigkeit fürchten muß, gleich ganz aus den Fugen zu gehn! Ja noch mehr, wie könnte ein guter Beobachter nicht anerkennen, daß dieses Lebensgemisch von Sorgen, Trieben und Ideen, das die Ideen höchstens zu seiner Rechtfertigung mißbraucht oder als Reizmittel benützt, gerade so wie es ist, formend und bindend auf sie wirkt, die ihre natürliche Bewegung und Begrenzung davon erhalten! Man preßt wohl den Wein aus den Trauben, aber wieviel schöner, als es ein Teich voll Wein wäre, ist der Weinberg mitsamt seiner ungenießbaren, rohen Erde und seinen unübersehbar flimmernden Pflockreihen aus totem Holz! »Mit einem Wort, die Schöpfung« dachte er »ist nicht einer Theorie zuliebe entstanden, sondern« und er wollte sagen, aus Gewalt, doch da sprang ein anderes Wort ein, als er erwartet hatte, und sein Gedanke ging so zu Ende: »sondern sie entsteht aus Gewalt und Liebe, und die übliche Verbindung zwischen diesen beiden ist falsch!«
    In diesem Augenblick waren Gewalt und Liebe für Ulrich wieder nicht ganz die gewöhnlichen Begriffe. Alles, was er an Neigung zum Bösen und Harten besaß, lag in dem Wort Gewalt, es bedeutete den Ausfluß jedes ungläubigen, sachlichen und wachen Verhaltens; hatte doch eine gewisse harte, kalte Gewalttätigkeit auch bis in seine Berufsneigungen hineingespielt, so daß er vielleicht nicht ganz ohne eine Absicht auf das Grausame Mathematiker geworden war. Das hing zusammen wie das Dickicht eines Baums, das den Stamm selbst verdeckt. Und wenn man von Liebe nicht bloß im üblichen Sinn spricht, sondern sich bei ihrem Namen nach einem Zustand sehnt, der bis in die Atome des Körpers anders ist als der Zustand der Liebesarmut; oder wenn man fühlt, daß man ebensogut jede Eigenschaft an sich hat wie keine; oder wenn man unter dem Eindruck steht, daß nur Seinesgleichen geschieht, weil das Leben – zum Platzen voll Einbildung auf sein Hier und

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