Der Mann von Nebenan
einzeln oder in Gruppen, Kinder ab 6 Jahren.« Den würde sie morgen im Dorf aufhängen. Sie steckte den gleichen Text als Kleinanzeige in einen Umschlag und adressierte ihn an die Regionalzeitung.
Sie war so vertieft, daß sie nicht bemerkte, wie jemand über den Rasen kam.
»Wie geht’s Ihnen heute?« ertönte eine männliche Stimme, und Kate schrak hoch.
»Danke, ganz gut.«
Sie nahm die dargebotene Hand und registrierte einen angenehmen Händedruck. Einladend wies sie auf einen Gartenstuhl.
Kommissar Lander ließ sich aufseufzend in den Stuhl fallen. Wieder trug er einen sommerlichen Anzug mit buntem Einstecktuch; dazu einen altmodischen Strohhut. Kate mochte die Art, wie er sich kleidete.
»Sucht Ihre Frau Ihnen die Anzüge aus?« fragte sie.
»Nein, schlechten Geschmack hab’ ich selbst«, antwortete er lächelnd. Und nach einer Pause: »Leider nicht nur bei Anzügen. Zum Glück kam meine Frau eines Tages von selbst auf die Idee, mich zu verlassen.«
Er fächelte sich mit seinem Hut Luft zu. »Was für eine Affenhitze!«
»Müssen Sie auch sonntags arbeiten?« fragte Kate erstaunt.
»Lieber sonntags als frühmorgens. Fragen Sie mich nie etwas vor zehn Uhr morgens, versprechen Sie mir das!«
»Müssen Polizisten nicht auch mal Frühschicht machen?«
Er grinste. »Ich nicht mehr. Ich habe zwei Jahre lang jede Frühschicht verpennt, dann wurde ich strafversetzt. Hier auf dem Land nimmt man mehr Rücksicht auf meine eulenhafte Veranlagung.«
»Auf was, bitte?« fragte Kate belustigt.
»Es gibt Lerchen und Eulen. Ich bin eine Eule. Medizinisch ausgedrückt leide ich unter dem Syndrom der verzögerten Schlafphasen. Ich schlafe spät ein und komme morgens nicht aus dem Bett. Wurden Sie auch hierher strafversetzt?«
Kate lachte. »Könnte man so sagen. Ich bin frisch geschieden. Ein Freund hat mir und meinem Sohn das Haus zur Verfügung gestellt.«
Lander gähnte verstohlen. »Sagen Sie, hätten Sie vielleicht einen Kaffee für mich?«
Kate holte Kaffee und Mineralwasser aus der Küche und stellte eine Schale mit Keksen dazu.
»Sie müssen Nerven wie Drahtseile haben«, sagte er und legte den Handzettel weg, den er in ihrer Abwesenheit gelesen hatte.
»Sie ja wohl auch«, gab Kate zurück.
»Kindern das Flötenspiel beizubringen scheint mir bedeutend strapaziöser zu sein, als Mörder zu suchen.«
»Wissen Sie denn schon, wer es getan hat?« erkundigte sich Kate, und ihr Gesicht wurde ernst.
Lander knabberte gedankenverloren an einem Keks. Plötzlich richtete er seine braunen Augen auf sie und fragte: »Laufen Sie viel?«
»Na ja, so drei bis viermal die Woche«, antwortete Kate überrascht.
»Und wie schnell laufen Sie?«
Spöttisch sah Kate ihn an. »Tun Sie doch nicht so, als wüßten Sie das nicht. Sie haben sich doch bestimmt über mich informiert.«
»Richtig. Als ehemalige Hürdenläuferin dürften Sie also in der Lage sein, sehr schnell zu laufen.«
»Stimmt. Aber wenn Sie vom Joggen sprechen, das ist was anderes. Da läuft man einen Stundenschnitt von dreizehn, vierzehn Kilometern.«
»Es gibt da etwas, was komisch ist«, sagte Lander.
Er beugte sich vor, griff nach einem Stift und begann, auf die Rückseite eines Handzettels zu kritzeln.
»Sie haben gesagt, Sie hätten um neun Uhr dreizehn auf die Uhr gesehen. Ungefähr fünf Minuten später hätten Sie die Frau gefunden. Stimmt das soweit?«
Er ließ den Stift sinken und sah auf.
Kate nickte.
»War die Frau denn da schon tot?«
»Ich weiß nicht genau … Ich … ich war so erschrocken, vielleicht hat sie auch noch gelebt«, stammelte Kate.
»Haben Sie nicht versucht, das festzustellen?«
»Doch, ich hab’ sie mir angesehen, aber sie hat sich nicht bewegt«, antwortete Kate schnell.
»Wir haben Grund zu der Annahme, daß die Frau noch gelebt hat. Zu diesem Zeitpunkt war es ungefähr zwanzig nach neun. Als Sie uns anriefen und sagten, Sie hätten eine Leiche gefunden, war es zehn. Vom Fundort bis zum Friseur sind es gerade mal vier Kilometer, die laufen Sie in weniger als zwanzig Minuten. Warum haben Sie die doppelte Zeit gebraucht?«
»Was weiß ich, vielleicht hab’ ich mich doch in der Zeit geirrt, keine Ahnung«, erwiderte Kate heftig.
Lander nahm seine Zeichentätigkeit wieder auf.
»Sie wissen, daß Sie wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden können, wenn die Frau noch gelebt hat und Sie nicht auf dem schnellsten Weg Hilfe geholt haben?«
Kate senkte den Blick.
»Also?« Lander sah sie auffordernd
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