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Der Mann von Nebenan

Der Mann von Nebenan

Titel: Der Mann von Nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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nett.«
    »Wie heißt sie eigentlich?«
    »Ramona.«
    Ramona. Klang, als wäre sie höchstens sechzehn.
    Kate räusperte sich. »Hunger?« fragte sie, und es kam unfreundlicher rüber, als sie wollte.
    Beim Essen erzählte sie Samuel so schonend wie möglich von der toten Frau. Das war besser, als wenn er es von seinen Schulfreunden erführe. Von ihren Selbstvorwürfen erzählte sie nichts. Darüber konnte sie nicht sprechen. Mit niemandem. Und schon gar nicht mit Lander.

VIER
     
    E igentlich war es ein schönes Dorf. Die Hauptstraße wand sich vom Ortseingang aus in zwei langgezogenen Kurven, bevor sie sich verengte und zwischen hohen, alten Bäumen hindurch zum Schloß anstieg. Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich große Bauernhöfe, der älteste über vierhundert Jahre alt, und viele neuere Häuser. Es gab einen Schuster, einen Blumenladen, einen Bäcker und einen Metzger; außerdem einen Getränkemarkt, einen Schreibwarenladen, zwei Gasthöfe, eine Apotheke, einen praktischen Arzt und den Friseur. Wenn man nichts Ausgefallenes brauchte, mußte man den Ort nicht verlassen.
    Seit sie angekommen war, hatte Kate nur zweimal die knapp einstündige Fahrt in die Stadt unternommen. Einmal, um ihr Holzlager zu kündigen, und einmal, um Olga zu treffen.
    Die Stadt war ihr unwirtlich erschienen; laut und eng und abgasgeschwängert. All die Häuser ohne Grün drum herum, randvoll gefüllt mit Menschen, die Wand an Wand ihr Leben lebten, einander nah und doch als Fremde. Obwohl sie erst kurz weg war, konnte Kate sich kaum noch vorstellen, daß sie ebenfalls hier gelebt hatte. Sie fühlte sich viel wohler auf dem Land, inmitten der Weite und der Natur.
    Leider wollte Samuel nach wie vor nicht hiersein. Er war bockig und unglücklich; Tag für Tag jammerte er, er wolle zurück in die Stadt.
    Auch Kate fragte sich natürlich, ob sie als Fremde hier wirklich Fuß fassen würde. Sie stieß nicht auf direkte Ablehnung, wenn man von Malises merkwürdigem Verhalten einmal absah. Die meisten Leute behandelten sie freundlich, trotzdem spürte sie, daß sie nicht dazugehörte. Wenn sie ein Geschäft betrat, wurde sie förmlich mit »Sie« angesprochen, während die Einheimischen sich untereinander duzten. Manchmal erstarben die Gespräche, wenn sie in die Nähe kam. Und sie wurde mit Blicken betrachtet, die ihr deutlich zeigten, daß sie als Außenseiterin empfunden wurde.
    Sie sprach sich selbst Mut zu. Das dauerte eben. Man lebte sich nicht in ein paar Wochen in einer fremden Umgebung ein. Die Leute hier draußen waren ein besonderer Menschenschlag; man mußte sich ihr Vertrauen erst erwerben.
    Trotzdem wollte sie auf keinen Fall in die Stadt zurück. In der Stadt war Bernd. Alle Freunde dort waren Bernds Freunde, alle Kneipen, die sie kannte, Bernds Stammkneipen, alle Orte angefüllt mit Erinnerungen an Bernd. Es war, als wäre dort kein Raum mehr für Kate, als hätte er jeden Winkel besetzt.
    Tagsüber, solange sie beschäftigt war, kam Kate gut zurecht in ihrem neuen Leben. Voller Tatkraft widmete sie sich ihren Aufgaben, immer darauf bedacht, keine Zweifel oder Ängste hochkommen zu lassen. Aber nachts, wenn diese drückende Stille herrschte und die Welt um sie her nicht mehr zu existieren schien, kämpfte sie gegen allerhand Dämonen an.
    Sie hatte ihr Lauftraining einige Wochen nach dem Mord wiederaufgenommen; in weitem Bogen umlief sie jetzt den Ort ihres grausigen Fundes. Sie bemühte sich, die Erinnerung an das Erlebte zu verdrängen. Immer wieder sagte sie sich vor, daß die Frau wahrscheinlich sowieso gestorben wäre. Daß sie nicht für ihren Tod verantwortlich wäre. Trotzdem holte die Erinnerung sie immer wieder ein.
    Auch der Schmerz über die Trennung von Bernd kam immer nachts. Sie saß im Wohnzimmer und versuchte, die bohrenden Gedanken mit leiser Flötenmusik und dicken Wälzern, bevorzugt verschlungenen Familiensagas aus Indien oder Südamerika, zu bekämpfen. In den frühen Morgenstunden fiel sie erschöpft ins Bett und warf sich im Halbschlaf hin und her, bis um sieben das Piepen des Weckers der Quälerei ein Ende machte.
    Nun hatte sie beschlossen, mit der chemischen Keule gegen ihre Schlaflosigkeit vorzugehen. Sie studierte den Beipackzettel der Tabletten, die sie sich mit einem vom Dorfarzt bereitwillig ausgeschriebenen Rezept besorgt hatte: »Schlafmittel für Einschlafstörungen, Wirkstoff: Chloralhydrat, sonstige Bestandteile: Macrogol, Glycerol, Mannitol, Sorbitan, Farbstoffe E 171 und E 124

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