Der Mann zweier Welten
Zwanzig Augenpaare wandten sich ihm zu. Einige zornerfüllt, andere erstaunt und wieder andere neugierig.
Die Ratsmitglieder saßen feierlich um einen halbrunden Tisch. Ketan ging bis in die Mitte der Halle. Varano drückte ihm kurz die Hand, bevor er ihn allein ließ.
Gegenüber Ketan befand sich der Ratsvorsitzende Hoult. Von seinen Schultern hing ein feierlicher schwarzer Umhang. Seine dunklen Augen waren ausdruckslos, und Ketan fragte sich, was für eine Doppelrolle der Mann spielte.
»Wir hörten von Lehrer Darans Klage«, begann Hoult. »Du hast um ein Verhör vor dem Rat der Sucher gebeten. Du darfst alles sagen, was du willst. Fang an!«
Sein Herz schlug schneller, aber es beruhigte sich wieder, als er zu sprechen begann:
»Ich bin nicht in erster Linie hierher gekommen, hochgeschätzte Sucher, um mich zu rechtfertigen, sondern um die Ergebnisse meiner Suche vorzuweisen. Ich gestehe ehrlich, daß sich dieses Suchen auf verbotene Geheimnisse erstreckte.«
Ein Murmeln ging durch die Halle.
»Du gestehst das?« fragte Hoult mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ja. Und ich stelle die Frage, weshalb das Geheimnis verboten war. Was habt ihr bei seiner Aufdeckung befürchtet?«
»Welches Geheimnis hast du denn gewählt?« Der Fragende war Anot, ein berühmter Sucher, der die Bodenstruktur Kronwelds erforscht hatte.
»Es ist das Geheimnis unserer Existenz …«
Einen Augenblick stieg Angst in ihm auf. Was hatte er sich da vorgenommen? Glaubte er im Ernst, diese steinernen Mumien überzeugen zu können? Was wußten sie von den Drohungen in Nachtland, vom Geburtstempel?
Ketans Schaugegenstände wurden in die Halle gerollt. Er drehte sich um und wählte einen fahrbaren Tisch aus, auf dem er einige seiner Pflanzen ausgebreitet hatte. Dann baute er den Projektor und den Bildschirm auf.
»Weshalb fand der Mensch auf Kronweld kein Leben, als er herkam?« fragte er. »Weshalb war Kronweld eine unfruchtbare Welt, bis Igon in Nachtland eindrang und Bäume und Blumen mitbrachte? Weshalb müssen wir immer noch Pflanzen aus Nachtland herüberbringen?«
»Unsere Religion beantwortet diese Fragen ausreichend.«
Ketan wandte sich dem Sprecher zu. Es war Nabah, der kirchliche Vertreter im Rat. Er kämpfte seit vielen Tara darum, die heiligen Geheimnisse vor der Neugier der Sucher zu schützen. Ketan wußte, daß der Mann ihn immer bekämpfen würde.
»Gott hat dem Menschen Kronweld gegeben, und er läßt die Pflanzen in Nachtland gedeihen. Jedem sein Reich. Die Entscheidung Gottes darf nicht in Frage gestellt werden.«
»Dann sündigt der Mensch jedesmal, wenn er eine Pflanze aus Nachtland hierher bringt.«
Aller Augen waren auf Nabah und Ketan gerichtet.
»Der Mensch ist der Herr über die Pflanzen«, sagte Nabah. »Er kann mit den Dingen aus Nachtland tun, was er will.«
»Dann kann er auch alle Geheimnisse klären, die mit den Pflanzen zusammenhängen«, entgegnete Ketan. »Das habe ich getan. Seht her!«
Er schaltete den Projektor ein und zeigte sein erstes Bild. »Diese Blüte dient als Beispiel für alle anderen, denn sie enthalten im wesentlichen die gleichen Teile. Hier in der Mitte haben wir einen langen Stab, in dessen unterer Verdickung Samenzellen sitzen. Um diesen Stab gruppieren sich eine Anzahl von Fäden, die winzige Körnchen enthalten. Wenn diese Körnchen auf den Stab einer Pflanze fallen, vereinigen sie sich mit den Samenzellen an seinem Ende.«
»Das ist schon lange bekannt«, erklärte Hoult. »Hast du sonst nichts anzubieten?«
»Ich frage folgendes: Kann mir jemand den Zweck dieses eigenartigen Vorgangs erklären?«
Nabah lächelte zu Anot hinüber. Die Ratsmitglieder gaben sich keine Mühe, ihre Langeweile zu verbergen. »Du bist jung, Ketan«, sagte Hoult. »Du weißt noch wenig von der Tradition des Suchens. Früher gab es einmal eine Zeit, in der man sich fragte: Wozu ist dieses Ding da? Weshalb ist es so oder so geformt?
Heute akzeptieren wir die Existenz solcher Dinge und die Weisheit des Gottes, der sie gemacht hat. Es hat keinen Sinn, das Suchen bis zu Spitzfindigkeiten zu übertreiben.«
»Ebenso hat es keinen Sinn, die Suche aufzugeben, wenn man noch nichts weiß«, rief Ketan mutig. »Es ist nicht verwunderlich, daß seit Igon keine großen Sucher mehr lebten. Igon wurde ins Exil geschickt und für seine Entdeckungen fast umgebracht. Die Tradition erstickt das Suchen im Keim. Ich habe die Tradition gebrochen. Seht, was ich entdeckt habe.«
Er hob eine Handvoll kleiner
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