Der Mann zweier Welten
zeichnete ebenfalls ein Quadrat und deutete auf die eine Seite: »Einhundert.«
»Zehntausend«, sagte William Douglas langsam. »Es müßten weit mehr sein.« Er sah Ketan fragend an. »Kommen durch den Großen Rand Menschen nach Kronweld?«
»Alle kleinen Kinder werden so nach Kronweld gebracht«, sagte Ketan. »Was wißt ihr darüber?« Die Männer schienen mehr zu wissen, als sie sagten.
Aber William Douglas schüttelte den Kopf. »Wir wissen nichts Bestimmtes. Wir vermuten nur einiges, ohne jedoch Beweise dafür zu haben.
In unserer Welt gibt es ein Gesetz, wonach alle Neugeborenen nach kriminellen Charakterzügen untersucht werden. Kinder, bei denen man solche Züge findet, werden getötet. Das ist alles. Viele sind der Meinung, daß diese Kinder nicht getötet werden, sondern daß man sie irgendwohin schickt. Vielleicht nach Kronweld.«
»Aber wir in Kronweld sind keine Verbrecher«, widersprach Ketan. »Die Statiker sind die Verbrecher.«
»Es ist eine lange Geschichte«, meinte William Douglas. »Ich kann nur sagen, daß unser Leben sehr hart ist. Weißt du, wer wir sind? Man nennt uns die Ungesetzlichen. Das heißt, wir haben kein Lebensrecht. Wir sind nicht in der Maschine untersucht worden. Unsere Eltern haben sich geweigert, unser Leben aufs Spiel zu setzen.
Das Gesetz besagt, daß alle Neugeborenen innerhalb eines Monats zur Ausscheidung gebracht werden müssen. Ich kenne nur die große Ausscheide-Maschine von Danfer. Andere sind über das ganze Land verteilt. Es ist ein schrecklicher Anblick. Hunderte von Elternpaaren kommen täglich und geben ihre Babys in die Obhut der Maschine. Dort wird jeder Charakterzug und jedes Merkmal festgehalten. Die meisten kehren wieder in die Arme der Eltern zurück. Aber einige tauchen nie wieder auf.«
Das waren die Gesichter, die ich gesehen habe, dachte Ketan.
»Ich habe einmal so ein Elternpaar gesehen«, fuhr Douglas fort. »Sie blieben den ganzen Tag im Empfangsraum und sahen zu, wie Eltern ihre Babys zurückerhielten, die sie viel später der Maschine übergeben hatten. Am Abend verließen sie das Gebäude ohne Kind. Sie sagten nichts. Aber ich werde ihre Augen nie vergessen.«
Ketan unterbrach die Stille schließlich. Er wandte sich sanft an Douglas.
»Und dein Kind?«
William Douglas sah müde auf. »Mary und ich waren Ungesetzliche. Wie unsere Eltern. Wir waren auf einer besonderen Mission und sollten etwas über die Statiker herausfinden. Wir trugen falsche Stempel, denn jedes Kind, das die Ausscheidungsmaschine verläßt, wird markiert. Ich war Chirurg in Danfer und wurde beauftragt, den Direktor, den Anführer der Statiker, selbst zu untersuchen. Aber plötzlich wurde die Verabredung abgesagt, und ich brachte heraus, daß man mißtrauisch geworden war. Sie hätten uns beide getötet, wenn sie uns erwischt hätten, und so mußten wir fliehen. Mary sollte bald ihr Kind bekommen. Wir schafften es bis zu dem Dorf Dornam, aber es wurde von einem zufällig vorbeikommenden Statiker überfallen. Wir mußten noch einmal fliehen.«
Ketan dachte, daß er die Gefühle des Mannes nie verstehen könnte, wenn er nicht Elta gekannt hätte.
»Weshalb glaubst du nicht, daß die Neugeborenen getötet werden?« fragte er schließlich.
»Man erklärte uns immer, daß man die Verbrecher und Tyrannen aussieben wollte. Aber wir haben Verbrecher unter uns. Und die Statiker haben eine Tyrannei ohnegleichen errichtet.
Manchmal konnten auch diejenigen, die sich in der Empfangshalle befanden, Menschen in seltsamer Kleidung sehen. Die Kinder nämlich, die ausgesondert werden, befinden sich auf einer Art Altar, der für alle bis auf die Eltern sichtbar ist. Sie sind in Feuer gehüllt. Und hin und wieder, wenn gerade kein Kind auf dem Altar lag, konnte man erwartungsvolle Gesichter sehen.«
Ketan nickte. »Das ist die Geburtskammer. Etwas anderes ist nicht möglich.«
»Vielleicht. Wir hatten auf so eine Erklärung gehofft. Aber woher kommt es, daß du den Namen der Statiker kennst, ohne etwas mit ihnen zu tun zu haben?«
Ketan erklärte so kurz wie möglich die Ereignisse, die sich vor seinem Fall durch den Großen Rand abgespielt hatten. Die beiden Ungesetzlichen hörten überrascht und verwundert zu, und als er fertig war, nickte William Douglas.
»Wir wissen nicht, was die Statiker wollen, aber es steht fest, daß ihr in Kronweld eine Wissenschaft besitzt, von der sie keine Ahnung haben. Und ich verstehe auch nicht, weshalb sie Kronweld vernichten wollen, wenn sie
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