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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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jetzt, wo er im Recht war und den Reichsbauernführer als absoluten Beweis in Besitz genommen hatte. Vielleicht hemmten ihn auch diese Augen, die ihn im Kückgarten angesehen hatten und die aussahen wie seine eigenen auf dem Foto vom Frühjahr '67, aber seine eigenen Augen mit anderen Augen zu vergleichen und daraus Schlüsse zu ziehen, das war doch Wahnsinn! Nein, der junge Mann aus dem Garten war und blieb eine Johannabrut, fremd gefickt mit diesem Klein-Goya, sonst hätte sie sich ja nicht trennen müssen, sonst hätte man ihm das doch mitgeteilt!
    »Alles in Ordnung?«, fragte Ana.
    »Ja, ja«, sagte er und nahm ihn nun selbst in die Hand, die immer noch leicht geschwärzt war vom Herumgraben im Kückgarten. Er starrte zwischen ihre Beine. Er rubbelte an seinem Schwanz herum, riss mehrere dieser kleinen Tüten auf, weil ihm die Kondome allesamt abglitten und sich so verschrumpelten, dass er nicht mehr wusste, wie herum man sie im Prinzip hätte überstreifen sollen. Er wurde zunehmend unruhiger. Er riss und rubbelte, sah einmal fast flehend in den hellblauen Himmel des Bettes, aber es war und blieb ein Knubbel, den er in der Hand hielt, ein lächerlicher Piepmatz, keinen halben Meter vor Gottes verlockendster Schönheit.
    Draußen erklang wieder diese Melodie. Es schien, als würden die Kosaken direkt im Garten vom Don-Camillo-Club tanzen.
    Ana sprang auf und sah durch den Vorhang. Danach beugte sie sich über das Bett und küsste Ohlrogge auf die Stirn.
    »Darf ich Ihre Bilder? Gibt es Ausstellung?«, fragte sie.
    »Ausstellung ...«, sagte er vor sich hin, verdüstert in seiner Verzweiflung. »Ausstellung ...«, wiederholte er, wie ein Schiffbrüchiger, den man zu retten im Begriff war, der sich aber so abrupt von seinem bereits hingenommenen Untergang nicht verabschieden konnte und ungläubig »Land« vor sich hin murmelte.
    »Ja, Ausstellung!«, sagte sie und küsste ihn auf die Wange.
    »Ja, ja ...«, sagte Ohlrogge, er fummelte noch am allerletzten Kondom herum, so als läge das Problem in einer schlechten Materialverarbeitung.
    »Zufälligerweise läuft gerade, glaube ich, gar keine Ausstellung«, er suchte nach seiner Unterhose, er wollte nun so schnell wie möglich seine Scham bedecken, dabei riss er aus Versehen den Sessel mit seinen Anziehsachen um.
    »Bei Ihnen? Können wir das machen? Zu Hause?«, fragte Ana.
    Bei mir, dachte Ohlrogge, bei mir zu Hause?! So etwas hatte ihn seit 1968 niemand mehr gefragt! Nicht einmal eine seiner Hobbymalerinnen oder Frau Schröter, ganz zu schweigen von einer jungen, göttlichen Frau wie dieser! »Ja,ja ... «.stotterte Ohlrogge dahin, »Scheißsessel« sagte er, er war innerlich im Ausnahmezustand und stieg nackt über das umgestoßene Polstermöbel, um nach seiner Unterhose zu greifen. Er hatte in Viehland in seinem Häuschen nie Besuch gehabt, dachte Ohlrogge, außer von Kunsthistorikern und Touristen, die aber nicht wegen ihm kamen, sondern wegen Paula Modersohn-Becker und ihrer Emanzipation, die sieben Tage in seinem Haus stattgefunden hatte. Außerdem konnte er sich gar nicht vorstellen, wie eine Frau in seine Behausung mit den Vergangenheitskisten überhaupt hineinpassen sollte! Und dann auch noch die Bilder anschauen, die er seit wie vielen Jahren vor sich selbst versteckte?
    »Morgen? Machen wir das morgen?«, fragte Ana.
    »Ja, ja, morgen, das ist gut ...«, sagte Ohlrogge, endlich seine Scham verhüllend und die Eingänge in die Hosenbeine findend. Morgen??, dachte er, morgen bei mir?!? Er konnte sich eher ein Kamel im Weltall vorstellen als diese Frau in seiner Hütte!
    »Adresse?«, fragte Ana. Sie hatte schon Stift und Papier in der Hand.
    »Wirklich?«, fragte Ohlrogge. Normalerweise, dachte er, bot man den Frauen hier Telefonnummern an, die sie danach sofort in den Papierkorb warfen. Er hatte nie versucht, eine Frau außerhalb dieser Welt zu treffen. Er hatte sich gerade hier immer am sichersten gefühlt und in der anderen Welt auch nichts bieten können. Nicht einmal ein sexfähiges Bett in der Künstlerkolonie, sondern ein schmuddeliges hinter der Ortsgrenze in Viehland, wohin man nur mit dem Osterholzer Bus gelangte oder mit dem Fahrrad. Außerdem hatte er an sein Bett die ganze Vergangenheit in Form eines Mitarbeiters von Adolf Hitler angekettet! Obendrein war er noch norddeutscher als die Worpsweder, er kam aus Lauenburg, Schleswig-Holstein, er konnte sich nicht vorstellen, länger als eine halbe Stunde mit einer Frau im wirklichen Leben zu

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